Jeder Kilometer zählt!

Über 75 Sponsoren haben für jeden von mir gefahrenen Velokilometer in den USA 1 Rappen an Tixi gespendet. Herzlichsten Dank!

Weiter geht's nach Idaho, Utah und Nevada

24.08. - 3 Staaten in einem Tag

Heute ist mein letzter Tag in Wyoming. Ich überquere, wieder mal mit Regenhose und -jacke ausgerüstet, wegen der Kälte, den Salt River Pass und werfe einen letzten Blick zurück auf den Cowboy State. Nach einem kurzen Znüni mit Oatmeal-Riegel und frischen Himbeeren gehts runter ins Tal. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite mühen sich die ersten Sonntags-Rennfahrer den Hügel hinauf. Bei einem Tempo von fast 60 km/h und seitlichem Wind liegt winken leider nicht drin - zu sehr fürchte ich, im Strassengraben zu landen. Ein Nicken muss genügen. Am Ende der Abfahrt heisst mich ein Schild willkommen im 'Scenic Idaho'. Dies steht jeweils auf den State Plates des Staats - plus 'Famous Potatoes'. Der Name rührt offenbar daher, dass Idaho rund einen Drittel aller in den USA angepflanzten Kartoffeln produziert. Ich hab mich nach all den Mais- und Sojafeldern zwischen Pennsylvania und Iowa einige Male gefragt, wer den die Unmengen Kartoffeln, die hier in Form von Pommes Frites, Kartoffelstock & Co. verzehrt werden, anbaut. Ausserdem werden hier offenbar beachtliche Mengen an Gerste für Bier-Multis wie Anheuser-Busch oder MillerCoors angepflanzt. Idaho gehört nach Montana und North Dakota zu den drei grössten Produzenten im Land. Leider ist die Ernte dieses Jahr wegen des vielen Regens anscheinend mieserabel, denn Gerste braucht wenig Wasser. Das zumindest wird mir ein Farmer an der Tankstelle von Paris, rund 30 km von meinem Tagesetappenziel Garden City, Utah, entfernt, erzählen. Doch davon bin ich im Moment noch sehr weit weg - rund 70 km. 50 km bin ich bereits geradelt und möchte in Geneva, den ersten Ort, den ich in Idaho anfahre, gerne meinen Lunch abhalten. Denn das Wetter ist seit der Passabfahrt auch wieder besser geworden. Jedoch ist Geneva wieder eine dieser Ortschaften, die zur Hälfte aus leerstehenden oder heruntergekommenen Häusern besteht und keinerlei Gelegenheit bietet, sich irgendwo auf eine Bank oder unter einen Baum zu setzen und ein Sandwich zu verdrücken. Also geb ich mir nochmals 25 km über den nächsten Pass, im Wissen, dass es im grösseren Montpellier auf der anderen Seite wenigstens eine Tankstelle mit Sitzmöglichkeit geben muss. Auf halbem Weg muss ich anhalten, um mich endgültig von meinen Regen- sowie den darunter gertragenen Baumwoll-Pluderhosen zu trennen. Es ist das erste Mal seit fünf Tagen, dass ich 'nur' mit Velohosen fahre. Just in dem Moment hält einer der Sonntags-Radrennfahrer von vorher neben mir an. Er will auf seine zwei Kumpanen warten, die etwas im Verzug sind. Die Freunde sind über das Wochenende von Salt Lake City in die Gegend des Bear Lake gekommen, um gemeinsam Velo zu fahren. Als ich dem graumelierten Herrn erzähle, dass ich heute in Garden City übernachten werde, bietet er mir den Schlüssel zu seiner Cabin in der Gegend an. Da sie heute noch abreisen, hätte ich das Häuschen für mich alleine. Leider hab ich mein Motel schon reserviert - sonst hät ich sofort zugesagt. Ich bedanke mich herzlichst und lass die schnellen Herrn weiterziehen. Nach zwei weiteren Meilen hab ichs geschafft und gönn mir auf dem Pass oben ein paar saftige Mini-Karotten und ein feines Snickers. Es ist bereits 14.00 und ich habe langsam echt Kohldampf. Gerade als ich wieder losfahren will, kommt von unten ein einzelner Rennradfahrer den Hang hochgekeucht. Er fragt mich, woher ich komme und ob ich denn Regen hatte auf der Strecke. Das mit dem Regen verneine ich - es war einfach wiedermal nur saumässig kalt. Er ist offenbar erst gerade vor 30 Minuten vom KOA-Campground am Fusse des Hügels losgefahren und sucht eine Entschuldigung, wieso es keinen Sinn macht, weiterzufahren. Sorry Junge, den kann ich dir leider nicht geben... Er bietet mir seine Telefonnummer an, im Fall, dass ich in Salt Lake City Hilfe benötige mit meinem Fahrrad oder eine Unterkunft brauche. Glücklicherweise habe ich bereits ein Motel gebucht und kann dies ohne schlechtes Wissen als Entschuldigung vorbringen. Es ist ja super nett, aber mir ist der Typ einfach nicht sympathisch. Vielleicht auch weil grossspurig verkündet, er würde ja nur zu gern ein paar Tage mit mir mitfahren, aber leider sei er ja ein so beschäftigter Mann. Untermalt wird diese Aussage mit einem netten Beispiel: Er müsse unter anderem zwei Wochen nach Hawaii in die Ferien. Ich wünsche ihm daraufhin einen erholsamen Strandurlaub und mach mich vom Acker. Es dauert dann auch nur rund 15 Minuten, bis er mich auf der Abfahrt Richtung Montpellier von hinten einholt. Nur zu gerne würde ich den nichtvorhandenen Düsenantrieb meines Fahrrads einschalten, um der Quaselstrippe zu entfliehen. Glücklicherweise taucht schon bald sein Campingplatz auf und ich fahre einfach ungebremst weiter. "Auf ein ander Mal," ruf ich ihm noch nach. In Montpellier setze ich mich dann auf eine Treppe seitlich einer Maverick-Tankstelle und schlinge mein wohlverdientes Mittagessen runter. Die restlichen rund 50 km bis nach Garden City sind zum Glück relativ flach und das schöne Wetter sowie die tolle Gegend um den Bear Lake machen die Fahrt relativ angenehm. Kurz vor Garden City überquere ich noch die Grenze zu Utah. Drei Staaten in einem Tag - nicht schlecht. Das wird eines der vielen einmaligen Erlebnisse auf meinem Trip bleiben.

25.08. - Die Rockies sind passé

Heute geht's nochmals 'hoch' hinauf. Von 1'817 M.ü.M in Garden City am Bear Lake warten zum aufwärmen am Morgen gleich rund 550 Höhenmeter über beinahe 10 km auf mich. Ich bin natürlich mit meinen vier Kleiderschichten heillos 'overdressed'. Nach und nach entledige ich mich während des Aufstiegs meiner Wind-/Regenjacke, Fleece und Velojacke. Inzwischen muss ich dafür nicht einmal mehr anhalten. Alles wird während der Fahrt ausgezogen und auf dem Rucksack hinter mir unter die Gummiseile geklemmt. Nur mit den Hosen mags noch nicht so ganz klappen... Dafür muss ich halt dann doch in einem nicht so steilen Stück anhalten. Nachdem ich leidend und schwitzend auf über 2'360 M.ü.M. ankomme, wartet eine Abfahrt über sage und schreibe 50 km auf mich. Ich fahre über 1'000 Höhenmeter den wunderschönen Logan Canyon runter, vorbei am Beaver Mountain Ski Resort, entlang dem friedlich plätschernden Logan River. Ich bin einmal mehr überwältigt ab so viel Naturschönheit. Nach jeder Kurve wartet ein neues schönes Bild auf mich. Dieser Abschnitt gehört sicherlich zu den schönsten Strecken, die ich in den letzten Wochen zurückgelegt habe. Gerne würde ich meine Begeisterung mit Val teilen, denn ich weiss, dass er die Umgebung genauso intensiv wahrnehmen würde. Die Rockies lasse ich mit meiner Ankunft in Logan hinter mir. Dort angekommen halte ich erst beim Visitor Center und besorge mir eine kostenlose Strassen-karte für Utah. Das GPS benutze ich seit geraumer Zeit nur noch, um die zurückgelegten Kilo- und Höhenmeter aufzuzeichnen. Während man an den Tankstellen teilweise bis 10 USD für Kartenmaterial bezahlt, sind die Tourismusbüros kostengünstigere Alternativen und man erhält erst noch gute Ratschläge. Doch mit meinem momentanem Dilemma können mir auch die netten Damen in brauner Uniform nicht helfen. Ab Logan habe ich zwei Möglichkeiten, nach Brigham City zu kommen und ich muss mich hier entscheiden, welche ich nehmen will. Respektive, welche weniger anstrengend sein wird für mich. Die Strecke Richtung Südwesten, weiter entlang Highway 89, über das Mantua Reservoir ist zwar kürzer (46 km). Jedoch beschert sie mir gemäss bikemap.net rund 400 positive Höhenmeter mehr als die längere (62 km) Route, die auf dem Highway 30 zuerst nach Nordwesten geht, einen Hügel überquert und dann geradewegs südlich nach Brigham City führt. Um etwas mehr Zeit für meinen Entscheid zu gewinnen, setze ich mich in den Burger King an der für mich zentralen Kreuzung und bestelle erstmal einen Whopper Jr. und einen Apple Pie. Das verschafft mir rund 10 Minuten mehr Bedenkzeit... Und ich entscheide mich für die längere Strecke mit weniger Höhenmeter. Wenn ich dort schlapp mache, gibts wenigstens eine paar Käffer, wo ich übernachten könnte. Besser als im Wald irgendwo in der vorletzten Kurve vor der Abfahrt zelten zu müssen, weil der letzte Not-Snickers-Riegel schon vor 10 km verdrückt wurde und das Knie vor Schmerzen pocht. Ich bereue dann meinen Entscheid auch nicht. Denn kaum komme ich nach Beaver Dam um die Ecke gekeucht, wartet ein schöner Nordwind auf mich, der mich nun auf dem Highway 38 regelrecht ins 30 km entfernte Brigham City fliegen lässt. Als ich mich der Stadt kurz nach 16.00 nähere, sehe ich schon von weitem eine auffällig grosse und weisse Kirche. In Logan habe ich etwas ähnliches gesehen. Bis anhin waren die Kirchen, an denen ich vorbeigekommen bin, eher vergleichbar mit Gemeindehäusern oder zu mindest bescheiden in Grösse. Hier in Utah, dem Staat der Mormonen, scheint dies etwas anders. Entsprechend scheint mir die Bezeichnung 'Tempel' auch angebracht. Ich freue mich schon auf Salt Lake City, wo der Hauptsitz der Kirche der Mormonen liegt. Dort werde ich sicherlich noch etwas mehr über die drittgrösste Religionsgemeinschaft der USA erfahren. Für das Nachtessen suche ich mir wieder einmal ein All-you-can-eat Chinese Buffet - wohl auch, weil es gleich über die Strasse liegt und ich nach 122 km und nicht ganz 1'000 Höhenmeter einfach einen riesen Kohldampf habe. Mein GPS hat mir mitgeteilt, dass ich über 3'000 kcal auf der heutigen Strecke verbrannt habe. Die hab ich schon nach dem  vierten Teller defintiv wieder drin. Vor allem wohl wegen der vier gezuckerten Chinesischen Donuts, die ich in der Sweet&Sour-Sauce dippe. Und das Schoggi-Glacé hat sicher auch seinen Teil dazu beigetragen... 

26.08. - Albträume und Ankunft in der Hauptstadt der Mormonen

Es hat die ganze Nacht stark gewindet und zwischendurch auch etwas geregnet. Ich weiss das, weil ich mehrmals durchs Fenster auf den Parkplatz nach meinem Velo gespäht habe. Das Zimmer hat eine dreistufige Treppe vor der Tür und ist ausserdem zu klein, um meinem Fahrrad auf dem flauschigen, braunen Teppich ein Nachtlager anzubieten. Es ist nicht das erste Mal, dass mein Velo draussen bleiben muss. In solchen Fällen hatte ich meistens einen unruhigen Schlaf und fast immer Albträume. Meistens geht es in den Träumen darum, dass mein Fahrrad verschwindet oder total demoliert wird. Die Folgen sind verschieden: Einmal bin ich in den nächsten Flieger nach Hause gestiegen, nur um so schnell wie möglich wieder an den Ort zu gelangen, wo ich die Reise abgebrochen habe, um die Tour doch fortzusetzen. Ein anderes Mal weiss ich, wer mein Fahrrad geklaut hat, aber ich kann es der Person nicht nachweisen und sie rückt meinen Drahtesel trotz Betteln und Flehen auch nicht freiwillig raus. So bin ich gezwungen tagelang im Niemandsland auszuharren und ich merke, wie mir die Zeit davon läuft. Wenn jemand behauptet, Träume hätten nichts zu bedeuten - read this. Oh Boy, are you wrong! Die Vorstellung, dass ich aus irgend einem Grund mein Vorhaben abbrechen müsste, ist für mich zum jetzigen Zeitpunkt nervtötend. Klar könnte man sagen 'hast viel erlebt, ist für sich eine Leistung, blabliblaba'. Aber so nahe am Ziel will ich es unbedingt und um jeden Preis zu Ende bringen. Basta. Jedenfalls ist heute Morgen das Wetter so wunderprächtig wie schon lange nicht mehr. Faserpelz, Windjacke und Regenhosen sind definitiv nicht nötig. Beim bepacken meines Velos tritt mein Nachbar aus der Nr. 72 vor die Tür. Er heisst Phil, zählt sicherlich 60 Lenze oder mehr und ist neugierig, was ich hier mache. Ich habe ihn schon gestern bei meiner Ankunft am Fenster sitzen sehen, beim telefonieren. Auf Grund seines, mit allerlei Krimskrams beladenen, klapprigen SUVs habe ich mir beinahe gedacht, dass es sich wohl nicht um einen Ferienausflug handelt. Und so ist es auch. Er und seine Frau haben sich getrennt, fünf gemeinsame Kinder haben sie. Nicht ungewöhnlich viel für Mormonen-Familien. Phil spricht von Depressionen, den strengen Regeln der hiesigen Kirche, seiner Tochter, die jeden Moment ein weiteres Kind gebärt und seiner Begeisterung fürs Leben in der Natur. Teilweise kann ich seinen Erzählungen nur halb folgen, alles ein bisschen wirr. Als ich vorsichtig anfüge, dass er wohl etwas Zeit benötige 'to sort some things out for yourself', holt er sogleich ein Fotoalbum mit Bildern seiner Kinder, Enkel, von Hochzeiten, Weihnachten etc. Das hab ich eigentlich nicht gemeint, aber ich kann jetzt auch nicht einfach weglaufen, um meine restlichen Sachen zu packen und winkend davonzurauschen. So stehen wir noch etwa eine Viertelstunde zwischen Tür und Angel und sehen uns seine Familienfotos an. Danach verabschiede ich mich definitiv und hoffe, dass der einsame Phil seinen Alltag und seine Frau wieder in den Griff bekommt. Bei schönstem Wetter fahre ich heute Salt Lake City entgegen. Auf der linken Seite zieht sich eine lange Bergkette mit Gipfeln bis 3'000 Metern Höhe in Richtung Süden. Auf der anderen Seite ist das Land flach und eher trocken. Über viele Kilometer fahre ich an Frucht- und Gemüseständen vorbei, vor  allem die Pfirsiche haben gerade Saison. Ich will es mir nicht entgehen lassen, einen Halt einzulegen, um mir ein paar der süssen Früchte für den Weg zu kaufen. Ein herrlicher Tag! Und ich freue mich unheimlich auf die kommenden zwei Tage in Salt Lake City (SLC). Seit Chicago war ich in keiner grösseren Stadt mehr. Wobei SLC mit seinen 186'000 Einwohnern im nationalen Verlgeich wohl nicht als Grossstadt bezeichnet werden kann. Jedoch umfasst der gesamte Ballungsraum über 1.1 Millionen Menschen. Das kann ich mir gut vorstellen. Grossfamilien sind bei den Mormonen weitverbreitet, was sich schlecht mit dem Stadtleben vereinbaren lässt. Bereits 30 km nördlich der Stadt stehen die Einfamilienhäuser immer dichter nebeneinander. Uniform anmutend reiht sich ein braungraues Haus ans andere. Es macht fast den Anschein, als hätten beim Kauf und der Planung alle den selben Prospekt zur Hand gehabt. Die Präsenz der Church of Jesus Christ of Latter-day Saints, kurz LDS Church, oder informeller und besser bekannt bei uns als Kirche der Mormonen, ist in der Stadt allgegenwärtig. Immerhin wurde sie 1847 auch von den damals verfolgten Mormonen gegründet und ist heute noch globales Zentrum der Kirche. Die numerischen Strassennamen, gepaart mit den vier Himmelsrichtungen, orientieren sich fast ausschliesslich am Temple Square in Mitten der Stadt. Ich bin unheimlich gespannt auf die Stadt, so dass ich nach meinem Check-in im Motel 6 gleich ins Visitor Center flitze. Ich wollte mir eine Strassenkarte besorgen und plaudere schlussendlich fast 45 Minuten mit einem netten Senior, der mir allerlei Tipps für die nächsten zwei Tage gibt. Das Highlight des Tages ist mein Nachtessen. Ich wollte unbedingt wieder einmal Äthiopisch essen und habe tatsächlich etwa drei Kilometer südlich vom Motel das Restaurant Mahider ausfindig machen können. Der Weg führt vorbei an unzähligen Tatoo-Studios, verschiedensten Pawn-Shops, zwielichtigen Bars - eine richtige Wohlfühlgegend eben. Ich bestelle mir die Platte, die von allem etwas drauf hat und schlemme bis ich einfach nicht mehr kann. Den Rest lass ich mir einpacken - und verputze ihn wahrscheinlich nach Beendigung dieses Berichts... Ich liebe SLC schon jetzt - ich bin und bleibe eben ein Stadt-Chick :)

27.08. - Albtraum ist Realität geworden...

Was ich nicht für möglich gehalten habe ist eingetreten. Mein geliebtes Velo, meine treue Begleiterin, ist weg. Es wurde gestern Nacht zwischen 20.00 und 23.00 vor meiner Moteltür gestohlen. Während ich drinnen meinen Bericht über Albträume zum Verschwinden meines geliebten Fahrrads schrieb! Ist das nicht unglaublich? Wie in einem schlechten Film. Ich habe draussen noch Geräusche gehört, aber irgendwo scheppert oder klappert immer etwas. Und doch hatte ich irgendwann ein so ungutes Gefühl, dass ich kurz nach 23.00 einen Kontrollblick aus dem Fenster werfen wollte. Und da war es weg. Da hat irgendein Vollidiot das wertvolle Stück wenige Meter weg  von mir gestohlen. Wieso ich es nicht im Zimmer hatte wie immer? Ich weiss es nicht. Ich war noch wach und beschäftigt und hätte nie gedacht, dass jemand so dreist sein kann. Mein Zimmer ist auf der Rückseite des Motels. Es muss also jemand vorsätzlich dort durchgelaufen sein oder eine Info erhalten haben. Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit vor meiner Tür auf den leeren Platz gestarrt hatte, bin ich zur Reception gegangen. Ich musste mich so zusammenreissen, um nicht gleich loszuflennen. Der nette Typ rief für mich bei der Polizei an. Da aber keiner umgebracht worden war, wurde ich gebeten, einen Online-Report auszufüllen. Die Videobänder konnte der hilfsbereite Receptionist leider nicht ansehen – das kann nur seine Chefin, die heute Morgen erst wieder im Büro sein würde. Ich kehrte also niedergeschlagen in mein Zimmer zurück und liess als Erstes meinen Frustrationstränen freien Lauf. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. What now?? Ich will diese Tour unbedingt auf dem Fahrrad beenden und nicht via Zug oder Bus. Val und ich hatten ein paar Mal darüber gesprochen, was wir machen würden, wenn unser Fahrrad wegkäme. Im Scherz habe ich immer gesagt, ich würde mir ein Taxi an den nächsten Flughafen bestellen und nach Hause fliegen. Was ich nun natürlich nicht mache. Es ist mir klar, dass mein Velo nicht mehr auftauchen wird. Egal ob auf den Videobändern etwas Erkennbares wäre. Die automatische Antwort des Online-Polizisten macht mir das klar: Ich werde in den nächsten fünf Tagen eine Bestätigung erhalten, dass mein Report eingegangen und in Ordnung ist. Fünf Tage? Dann sitze ich im Zug nach Reno mit irgendeinem klapprigen Ersatzvelo. Ich hatte inzwischen Val eine Message geschickt, es war um 00:30. Er rief mich unmittelbar zurück. Ich schluchzte gleich wieder los. Aber es tat gut, mit ihm zu sprechen, denn er versteht mich von allen sicherlich am Besten. Ausserdem habe ich meine Schwestern und Sara informiert, da wir eigentlich heute früh Skypen wollten. Im dem Moment wusste ich aber nicht, wo ich dann sein würde. Auf der verzweifelten Suche nach einem Ersatzvelo wahrscheinlich. Sara war bereits bei der Arbeit und rief mich an. Simi lag in dem Moment grad in den Wehen - die kleine Liv hatte ein super Timing. Chrigi war empört und sprachlos und fühlte per Mail mit mir mit. Ausserdem meldete sich Käru aus dem Office, als ich auf seine schon länger zurückliegende Mail, wie es mir geht, nun 'beschissen' antwortete. Tut gut, sich nicht so allein zu fühlen! Doch heute Morgen müssen Taten folgen. Als Erstes mach ich mich zu Fuss auf den Weg zum Bicycle Transit Center, wo man Velos mieten kann. Ansonsten komme ich in der Stadt auf keinen grünen Zweig. Auf die Frage, wo ich in SLC ein gebrauchtes Velo herkriege, verweist der bärtige Hipster mich auf ksl.com – so eine Art gratis-inserate.ch für Utah. Ich habe mich ausserdem über Nacht informiert, wo ich gebrauchte Velos herbekommen könnte. Auf craigslist.com ist ein Anbieter, der im Süden von SLC Second-Hand-Bikes verkauft. Leider erst ab 13.00 offen. Bicycle Collective ist der andere Ort, leider Mittwochs erst um 17.30 geöffnet und nur für Frauen. Da hab ich wenigsten hier Glück gehabt. Somit begebe ich mich mit meinem riesigen Männer-MTB zum Tempel Plaza, da ich genügend Zeit habe bis die Läden aufmachen. Während ich mir im Tabernacle ein Orgel-Recital anhöre, surfe ich auf kls.com. Es lässt mir keine Ruhe - so schön die Pfeifen auch tönen in der riesigen Kuppel. Dabei stosse ich auf ein Velo mit Gepäckträger für 120 USD, welches ein gewisser Frank verkaufen will. Ich rufe unmittelbar nach dem Orgelspiel an und wir machen ab, dass er zwischen 18.00 und 19.00 im Motel vorbeikommt. Ich mache mich auf in den Liberty Park, um dort im Park Café etwas essen zu gehen. Es soll eines der bestsen Frühstückscafés sein in der Stadt. Food für die gestresste Seele - das brauch ich. Dabei komme ich ins Gespräch mit einem Kellner, dem ich meine Geschichte erzähle. Der informiert umgehend seinen Boss, der anscheinend ein Velo-Freak ist und der gibt mir noch ein paar weitere Adressen - so super nett! Danach mache ich mich auf um den Laden an der 3300 South ausfindig zu machen. Ich will mich nicht auf Frank verlassen, wer weiss, was da schiefgehen könnte. Vielleicht taucht er ja gar nicht auf... Vom Liberty Park an der 900 S ist es ein ganz schönes Stück und ich schwitze vor mich hin. So hab ich mir meine Tage in Salt Lake City nicht vorgestellt - eher entspannt und ruhig... An der 3300 South angekommen fahr ich zuerst in die falsche Richtung - nach Westen. Mehrere Blocks später merk ich es und muss umkehren. Ich bin am kochen, innerlich und auch äusserlich. Nach etwa 10 Minuten in die östliche Richtung seh ich auf der rechten Strassenseite ein paar klapprige Velos stehen. Geschafft, zumindest für den Moment, denke ich. Ich betrete den Laden und erkläre dem Inhaber mit Latinowurzeln kurz mein Anliegen: Velo weg, neues Velos muss her, nicht teuer, gerade mal Reno-SF-tauglich und mit einem Gepäckträger. Er zeigt mir draussen eine Rostlaube ohne Sattel, ohne Gepäckträger und roter Kette. Er könnte das alles fixen für mich - für sagen wir 200 USD. Ich sage ihm ehrlich, dass ich heute Abend jemanden noch treffe und ihm erst Morgen Bescheid geben kann. Er geht auf 150 USD runter - jetzt oder nie, meint er. Ich überlege und während ich so dort stehe ruft jemand von hinten fragend meinen Namen: "Reguuullla?" Vor mir steht ein Mechaniker aus dem Laden und stellt sich als Frank vor. Der Frank, mit dem ich mich heute Abend treffen wollte wegen des Velos! What are the chances? Ihr denkt vielleicht, ich erfinde diese Geschichte, aber es ist wirklich wahr! Er hat das Velo in seinem Wagen und ich kann es mir gleich vor Ort anschauen. Ich sage zu - im Vergleich zum Angebot des Ladenbesitzers ist das ein super Geschäft. Es muss nur bis über die Golden Gate Bridge halten, denk ich mir. Ich leiste Frank eine Anzahlung von 60 USD und er bringt es mir heute Abend um 19.00 im Hotel vorbei. Im Moment bin ich einfach nur froh und hoffe, dass der Gepäckträger meine Taschen tragen kann. Ich habe heute Morgen noch mit Rolf telefoniert und beschlossen, einen Tag früher, also morgen, nach Fremont zu fahren. Sie wollen mit mir in den Bryce Canyon campen gehen und da es Labor Day Weekend ist, haben wir bessere Chance auf einen Platz, wenn wir am Freitag losfahren. Mit dem Autoverleih konnte ich das regeln, jetzt muss ich nur nur mit dem Motel schauen, ob ich die Nacht morgen auf nächste Woche schieben kann. Wenn ich wieder aus Fremont zurück bin. Alles geht drunter und drüber und doch scheint sich alles wieder fast von alleine zu regeln - hoffe ich. Ich werde in Fremont kein WiFi habenund die Erlebnisse der kommenden Tage danach wieder online stellen. Drückt mir die Daumen, dass es keine unerfreulichen Zwischenfälle mehr gibt auf meiner weiteren Tour - egal ob mit Velo oder Auto in den nächsten Tagen. Merci!!  

28.08. – Mit dem Auto gegen Süden

Heute Morgen ist die Feuertaufe meines neuen Fahrrads. Gestern habe ich schon mal die Kartentasche behelfsmässig am Lenker befestigt. Bis anhin war die immer auf der Ortlieb-Lenkertasche festgemacht. Jedoch ist die Befestigungsvorrichtung für diese Lenkertasche samt Tout-Terrain-Velo abhandengekommen. Die Lenkertasche kommt nun halt auch noch auf den Gepäckträger, zuoberst auf den Zeltrucksack. Ich bin nur froh, habe ich mich meiner beiden Front-Taschen bereits in Sioux City entledigt. Ich denke den Umständen entsprechend hatte ich Glück, den 'blauen Blitz', wie in Sara nennt, in so kurzer Zeit zu finden. Denn die Fahrräder, die in den USA das Strassenbild dominieren sind klassische MTBs und Rennräder. Weder noch taugen für mein Unterfangen, auch wenn es nur noch drei Wochen sind. Das Bike der Marke Schwinn kommt meinen Bedürfnissen mit seinem soliden und Velotaschen-freundlichen Gepäckträger am nächsten. Und ausserdem war Frank, der Verkäufer, sehr hilfsbereit. Als ich gestern Abend, nachdem er bereits gegangen war, feststellte, das die hinteren Bremsklötze zu nahe am Rad sind und deshalb das Fahren erschweren, ist er extra nochmals vorbeigekommen. Seine SMS, ob ich noch eine Runde mit dem Bike und ihm drehen möchte an dem Abend, hab ich erst später gesehen... Da hat er sich wohl etwas anderes erhofft. Ich bin froh, muss ich heute Morgen nur bis zum Autoverleih in der Nähe des Flughafens fahren. Obwohl die Strecke doch etwas länger ausfällt, als geplant. Die Nummerisch-Himmelsrichtung-organisierten Strassen verwirren mich immer noch und ich lande statt an der Redwood Street im Norden  im Süden. Kostet mich nur etwa 8 km Umweg. Bei Fox Rent a Car angekommen, nehm ich meinen Chevy Sonic in empfang – eine kleine weisse Blechbüchse – und hieve mein Fahrrad und Satteltaschen in den Kofferraum. Hier ein Auto zu mieten ist so unglaublich billig. Ich bezahle für fünf Tage, unlimitierte Meilenanzahl, 155 USD. Das ist pro Tag gleich viel, wie ich für mein Leihfahrrad gestern bezahlt habe. Sage und schreibe 30 USD, plus 2 USD fürs Schloss. Ich habe erst etwas Bammel, da ich seit 18 Jahren nicht mehr in den USA Auto gefahren bin, jedoch ist Salt Lake eine wirklich ruhige Stadt mit verhältnismässig wenig Verkehr. So bin ich schwuppdiwupp auf der Interstate 15 Richtung Süden. Es ist komisch, hinter dem Steuer eines Wagens zu sitzen und mit 60 bis 70 mph die Autobahn runter zu brettern. Ich fahre in vier Stunden eine Strecke, für welche ich sonst vier Tage gehabt hätte. Nachdem ich in Scipio die I-15, die weiter nach Las Vegas führt, verlasse, geht es von der trockenen Busch- und Graslandschaft immer mehr Richtung Berge. Bei jeder Steigung denke ich daran, wie ich hier in der gleissenden Sonne auf meinem Velo hochkriechen würde, hätte ich die Zeit gehabt. Und ganz ehrlich gesagt: Ich bin in dem Moment nicht unglücklich, sitze ich in einem klimatisierten Auto mit voll aufgedrehtem Radio. Aber der Unterschied, wie ich meine Umgebung in diesem Moment wahrnehme, ist frappant anders. Die Geräusche fehlen, kein Gefühl, ob ein Wind aus irgendeiner Richtung weht, der Duft der Landschaft ist nicht existent. Vieles zieht an mir ungesehen oder nur für einen Bruchteil eines Augenblicks an mir vorbei. Es bleibt keine Zeit für längere Beobachtungen. Sehr ungewohnt. Kurz vor 14.30 komme ich in Fremont an. Heather und Rolf sitzen schon draussen auf der Veranda ihres Holzhauses und kommen mir entgegen. Ich habe die beiden schon unzählige Jahre nicht mehr gesehen. Aber Simi hat sie im Februar am Fest zum 70. Geburtstag unserer Tante Theres getroffen und von meinen Plänen erzählt. So kam es, dass sie mir offeriert haben, sie hier besuchen zukommen. Nach einer herzlichen Begrüssung geht’s auch gleich zur Sache. Sie würden gerne schon heute Nachmittag, sprich jetzt, Richtung Bryce Canyon abfahren, damit wir dem grossen Andrang übers lange Labor Day Weekend zuvorkommen können. Aber sie überlassen die Entscheidung liebenswürdigerweise mir. Ich bin dabei. Schnell werfen wir noch eine Ladung meiner Dreckwäsche in die Waschmaschine und bepacken währenddessen den Trailer-Camper mit Boxen voller Esswaren, Geschirr, Eisblöcken, Decken und vieles mehr - was ein Profi-Camper ebenso einpackt. Ich freue mich unheimlich, auf meiner Reise auch mal noch anders als bis anhin campieren zu können. Das wird Luxus pur werden: Gas zum kochen eines warmen Nachtessens, ein richtiges Morgenessen mit Käse, Bagels, Butter, Konfi und heissem Tee, sowie Schoggi und selbstgemachte Cookies zum Naschen. Und zum Schlafen eine richtige Matratze statt meiner Thermarest-Matte, samt Wolldecken gegen die Kälte. Denn die Trailer-Camper sind keine abgedichteten RVs, so dass es Temperatur-mässig nicht viel wärmer als in einem Zelt ist. Kurz nach 17.00 kommen wir auf unserem Campground an und installieren zugleich den Trailer, packen Tischtuch und Faltstühle aus. Während Rolf kocht, fahren Heather und ich an den Canyon für einen ersten Augenschein. Die beiden kennen diesen ja schon inn- und auswendig, doch ich bin sprachlos ab dem atemberaubenden Panorama, das sich vor mir auftut. Einfach einmalig schön und beeindruckend – wie so viele Orte, die ich in den letzten Wochen gesehen habe. Punkt 19.15 sind wir zurück auf dem Campsite. Denn nun gibt’s ein feines vegetarisches Nachtessen: Salzkartoffeln, Sweet Corn und Salat. Ein Glas Rotwein gibt’s dazu und zum Dessert die leckeren Oatmeal-Cookies von Heather mit einem warmen Tee. Ich bin rundum zufrieden und der Stress mit dem gestohlenen Velo ist weit weg. Das Einzige, was auch auf dem Sunset Campground in Bryce fehlt, wie auf so vielen Plätzen, ist eine Dusche. Somit heisst es wiedermal Katzenwäsche die nächsten zwei Tage.

29. bis 30.08. – Fantastischer Bryce und über ein Monat ohne Pasta

Ich habe wieder einmal eine eisig kalte Nacht draussen verbracht. Nur dieses Mal mit wärmenden Decken griffbereit. Zum Glück wärmt die Sonne schon bald unseren Platz und der heisse Tee und das herzhafte Frühstück tun ihren Rest. Wir werden heute eine mehrstündige Wanderung in den Canyon runter machen. Dafür streichen wir Käse-Sandwiches, packen Obst, Gemüse und Nüsse ein und füllen genügend Wasser ab. Dehydration ist ein grosses Thema hier und wird von einigen Leuten immer wieder fahrlässig unterschätzt. Mit einem Shuttle-Bus des Parks fahren wir an unseren Ausgangspunkt, Bryce Point. Von dort geht es erstmal stetig runter in den Canyon. In Mitten der imposanten Steingebilde laufen wir Kilometer weit. Nach jeder Biegung präsentieren sich uns immer wieder neue Formationen, Brücken, Löcher und Farbschattierungen. Es geht rauf und runter und die Sonne brennt unerbittlich auf uns nieder. Genügend Wasser ist wirklich bitternötig hier unten. Ich weiss nicht wieviele Fotos ich in den letzten Stunden geschossen habe und wahrscheinlich sehen sie im Nachhinein alle gleich aus. Aber im Vergleich zu allen anderen Tagen seit meiner Ankunft in den USA ist es auf jeden Fall Rekord. Das liegt sicher auch daran, dass Rolf wie ein Weltmeister fotografiert, als wäre er das erste Mal hier im Canyon. Anmerkung: Der Bryce ist sein Lieblingspark und er war mit Heather schon unzählige Male in den letzten Jahrzehnten hier. Ich bewundere seine enorme Begeisterungsfähigkeit zutiefst. Da will ich ihm in Nichts nachstehen mit meiner fotografischen Aktivität. Als wir um 16.00 wieder beim Campingplatz ankommen gibt's eine kurze Erholungspause bei Diet-Coke und Coors Beer und dann geht es auch schon wieder weiter. Wir fahren an das südliche Ende des Parks und klappern die unzähligen Scenic Overlooks ab. Wir sehen teilweise Berge, die über 130 km weit entfernt sind und schauen immer wieder aus neuen Perspektiven in den Canyon und aufs Umland. Es ist wirklich einfach nur wunderschön. Wer eine Bucket List führt, sollte diese Naturschönheit unbedingt drauf tun. Nach zwei weiteren Stunden bin ich nudelfertig und bin froh, dass wir in der Bryce Canyon Lodge eine Pizza essen gehen. Zurück beim Camper nach 20.00 gibt es dann noch den restlichen Rotwein von gestern – für jeden noch zwei Schlücke – und feine Cookies. Wir sitzen noch etwas am Picknicktisch, schwatzen und planen den nächsten Tag, und gehen kurz nach 21.00 schlafen. Hier draussen in der Wildnis ist früh Schlafenszeit – zumindest für uns Zweibeiner. Am nächsten Morgen packen wir in der Früh unsere sieben Sachen und machen noch eine kurze Tour auf dem 'Rim' des Bryce Canyons, bevor wir nach dem Mittag wieder Richtung Fremont aufbrechen. Wir fahren diesmal eine andere Route, über Escalante, Boulder und Torrey, damit ich noch mehr von der schönen Region hier mitbekomme. Ausserdem ist diese ein Teil des Radrennens Tour of Utah, das gerade vor ein paar Wochen stattgefunden hat. Gerade diese Etappe wurde anscheinend von einem Schweizer, Michael Schär, gewonnen. In einem anderen Leben werde ich vielleicht auch mal an einem Radrennen teilnehmen. Im Moment bin ich froh, schaff ich meine Tagesetappen ohne Muskelkater, mit möglichst wenig Sonnenbrand und dem Minimum an Doping – Snickers und m&m’s. Wir fahren am riesigen Grand Staircase Escalante Monument vorbei. Irgendwo hier soll gemäss Heather und Rolf Aron Ralston sich seine eigene Hand amputiert haben, als diese bei einer Wanderung in einem Canyon durch einen Felsbrocken eingeklemmt wurde. Schöne Geschichten, die sich da in den Parks abspielen... Ich hab mich mal gefragt, was der Unterschied zwischen einem National Park und Monument ist. Denn schlussendlich schaut für mich alles wie ein Park aus und von Auge gibt's keinen Unterscheid zu erkennen. Anscheinend ist es so, dass ein National Park vom Kongress ernannt wird. Ein Monument kann der US-Präsident aber eigenmächtig bestimmen. So oder so: Die Bewohner und Landnutzer eines neuernannten Parks oder Monuments haben meist keine Freude an einem solchen Akt, da sie dadurch wertvolle Nutzungs- und Eigentumsrechte verlieren. Den Grand Staircase hat Bill Clinton übrigens in seiner letzten Amtswoche zum National Monument ernannt. Viele Leute hier wünschen ihm heute noch die Pest an den Hals. Aber er hat ja Hillary. Die Reise geht weiter und kurz nach Escalante halten wir auf einer Bergspitze um ein paar weitere Fotos zu schiessen. Als wir uns dem Overlook nähern, sehe ich von weitem vier Tourenfahrer dort stehen. Ortlieb-Taschen vorne und hinten, Leuchtwesten, jeder einen Helm – hallo Leidensgenossen! Es sind vier Holländer, darunter eine Frau, die während drei Wochen durch Nevada und Utah fahren. Als erstes fragt uns einer, ob wir Wasser für sie hätten. Wir füllen mit unserem aufgetauten Eiswasser, das die letzten zwei Tage gefroren in grossen 3- bis 5-Literflaschen als Kühlung für unsere Esswaren diente, ihre halbleeren Flaschen auf. Wir sind gerade mal 30 km von Bryce weg, wo sie auch gestartet sind, und die müssen schon Fremde um Wasser anpumpen – das kann ja noch heiter werden. Es ist aber auch heiss und drückend. Und mit den Steigungen hier eine echte Herausforderung. Ich möchte nicht mit ihnen tauschen und weiss auch wieder, warum ich eine nördlichere Route für mich gewählt habe. Und wieso ich lieber mit dem Zug durch die Salzwüste nach Reno fahre statt alleine auf meinem Drahtesel. Die Truppe bedankt sich überschwenglich und macht auf den Weg talwärts. Nach wenigen Minuten folgen wir ihnen und bekommen gerade noch mit, wie alle auf die Bremsen drücken, weil einem die Kette von den Ritzeln gefallen ist. Einmal mehr – lieber sie wie ich. Aber ich weiss ja nicht, was mich noch alles erwartet. Also bin ich lieber mal schön still… Kurz vor 18.00 kommen wir in Fremont an. Der Trailer wird geputzt und winterfertig gemacht, es wird geduscht – eine Wohltat – und dann wird gekocht. Sprich ich rüste die Bohnen und Rolf und Heather machen den Rest. Es gibt zu den Bohnen Cod im Bierteig und Linguine mit Sugo, dazu ein Glas Rotwein. Während ich auf den feinen Teigwaren kaue, überlege ich mir, wann ich das letzte Mal Pasta gegessen habe. Ich gehe jede Stadt ab Salt Lake rückwärts durch und komme auf den 24.07. in Cedar Falls, Iowa. Damals hab ich im Hilton Garden Inn nächtigen müssen wegen des Ragbrai Veloevents. Es hat geregnet an dem Abend und so bin ich im Hotel geblieben und hab mir Linguine mit Clams bestellt. Wow, über einen Monat keine Pasta mehr. Das hats in meinem ganzen Leben noch nie gegeben! Dafür hab ich Brot in rauen Mengen gegessen, wie auch noch nie zuvor. Kommt dann wohl aufs selbe drauf an...

31.08. – Über Stock und Stein im Capitol Reef National Park

06:30 ist Tagwacht. Rolf und ich wollen heute in den Capitol Reef National Park, der ca. ein halbe Stunde Autofahrt südöstlich von Fremont liegt. Wir füllen die Kühlbox mit Käsesandwiches, Tomaten, hartgekochten Eiern, meinem Lieblings-Trail Mix bestehend aus Mandeln und Cranberries, sowie eine Blechschachtel voll Cookies und natürlich genügend Wasser und Tee. Wir könnten damit wohl eine mittelgrosse Mormonen-Familie ohne Probleme zwei Tage über die Runde bringen. Aber unser Motto ist: Lieber zu viel als zu wenig. Statt der  Einfahrtsstrasse in Torrey, eigentlich der Haupteingang, nehmen wir von Fremont einen Weg über den Thousand Lake Mountain, dessen höchster Punkt auf über 11'000 feet liegt. Auf dieser Anfahrt geht die geteerte Strasse schon nach wenigen Kilometern in eine Sand-Kies-Stein-Strasse über, die zuerst steil den Berg hochgeht und nach dem Gipfel kurvig wieder Richtung Tal führt. Diese Route ist wie der Eingang durch die Hintertür. Uns kommt gerade mal ganz am Anfang ein grosser Dodge mit zwei bärtigen Typen entgegen, beide in Camouflage-Jacken. Aber die Jagd-Saison hat gemäss Rolf noch nicht begonnen. Ich bin mir nicht so sicher, ob die Jungs das kümmert. Wir kommen ausserdem an einigen Camper-Gruppen vorbei. Meistens stehen ATVs (All Terrain Vehicles = Quads) vor den RVs und die Besitzer hocken in ihren Faltstühlen daneben. Es ist Labor Day Weekend und viele Familien treffen sich im erweiterten Kreis auf dem Zeltplatz, offensichtlich beim wild Campieren in den Wäldern oder bei sich zu Hause. Das 'Bei sich zu Hause' sieht dann so aus wie bei Heather's und Rolf's Nachbarn vis-à-vis: Vier Autos plus ein RV in der Einfahrt und auf der Wiese drei Zelte. Wie gesagt, die Familien hier sind gross. Rolf und ich jedenfalls fahren weiter auf der holprigen Strasse und ich bin froh, sind wir nicht mit meinem gemieteten Chevy Sonic unterwegs. Der wäre mir schon vor einigen Kilometern auf der Strasse auseinander gebrochen. Der 20-jährige, unverwüstbare Dodge Dakota ist da sicherlich ein verlässlicherer Partner. Auf einmal taucht am Rand der holprigen Strasse vor uns ein unscheinbares Schild auf, das den Eintritt in den Park ankündigt. Das wars auch schon und wir sind drin. Wir verbringen die nächsten Stunden ausschliesslich auf sandigen Wegen, die mit Steinen und Schlaglöchern gesät sind. Immer wieder sehen wir von links und rechts vertrocknete Flussläufe die Strasse durchbrechen. Man kann sich gut vorstellen, wie es hier aussieht nach einem starken Regenfall. Da gibt es kein Durchkommen mehr. Der Park bietet unheimlich viele verschiedene Facetten und ich bin immer wieder überrascht, wie schnell die Umgebung wechselt. Einmal mehr bin ich total begeistert von der Schönheit, die dieses Land zu bieten hat. Trotz der grossen Hitze steigen wir immer wieder aus dem Wagen, laufen hunderte von Metern, um irgendwo auf einem Felsvorsprung in ein tiefes Tal, auf ein weites Plateau oder riesiges Felsgebilde zu schauen. Kurz vor 14.00 fahren wir durch den Fremont River, damit wir überhaupt auf die Hauptstrasse des Parks gelangen. Wir haben bis jetzt nicht zu Mittag gegessen, da es seit Stunden keinen Schattenplatz mehr gegeben hat, der dies zugelassen hätte. Also begeben wir uns in den Park des Parks, um dort an einem Picnic-Table unsere belegten Brote & Co. zu verdrücken. Zu gerne wäre ich noch zu den Obstgärten in Fruita gefahren, um auf einer 'Pick your own'-Plantage ein paar saftige Äpfel und süsse Pfirsiche selbst zu pflücken. Aber als wir unsere Kühlbox zusammenräumen ist es bereits 15.30 und wir sind beide zu müde dafür. Wir gönnen uns noch ein selbstgemachtes Glacé im Gifford House, ein kleiner Laden im Park mit feinen Konfitüren, süssen Pies, salzigen Pickles, alten Kochbüchern und handgefertigten Topflappen. Danach geht’s nach Hause, wo frisch gebackene Brownies von Heather auf uns warten. Den Abend schliessen wir mit der Durchsicht von zwei alten Familienalben ab, die Heather irgendwo hervorzaubert. Der Brüller ist, als wir ein Foto von 1995 entdecken, auf dem Rolf ein T-Shirt trägt, das er gerade gestern an hatte. Nur sieht der Aufdruck definitiv nicht mehr ganz so frisch wie damals aus. Der Zahn der Zeit nagt an uns allen. Unter all den Fotos ist sogar noch eins von uns drei Schwestern aus 2005 zu finden. Zum Glück nicht von noch früher...

01./02.09. - Labor Day ahoi und Rückfahrt nach Salt Lake City

Labor Day haben wir erneut im Capitol Reef National Park verbracht. Diesmal mit Heather und meinem Chevy Sonic. Eine Wanderung zur Hickman Bridge stand als erstes auf dem Programm. Heather ist eine geborene Hickman und die Natural Bridge im Park ist nach ihrem Ur-Grossvater benannt, der die Steinbrücke entdeckt hat und ausserdem ein grosser Förderer des Parks war. Weiter ging es zu den Petroglyphen der Fremont Indianer, und nach einer kurzen Mittagspause mit Subway-Sandwiches, auf den Scenic Drive des Parks. Gerade noch machbar für meinen Chevy, der sich auf der Teerstrasse, die irgendwann in eine Naturstrasse übergeht, gut geschlagen hat. Am Ende der immer enger werdenden Strasse wartete dann eine Herausforderung auf uns. In der gleissenden Sonne ging es in die Capitol Gorge hinein. Wir wollten uns dort die Innschriften der ersten Siedler der Gegend ansehen. Leider hatten wir diese schon lange passiert, aber dies leider nicht realisiert. So liefen wir fast eine halbe Stunde weiter die Gorge runter, bis wir bemerkten, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte. Es war ja nur gerade knapp 100°F und Schatten gabs fast keinen – wenigsten hatten wir genügend Wasser bei uns. Lustig wars trotzdem. Und heute geht es wieder zurück nach Salt Lake City. Die letzten Tage waren toll und ich habe die Gesellschaft von Rolf und Heather sehr geschätzt. Bevor es kurz nacch 10.00 losgeht, sieht sich Rolf noch kurz mein Fahrrad an. Ein paar Schrauben werden angezogen, das Rad gerichtet und ich bekomme einen Schraubenschlüssel mit auf den Weg, den ich zum abmontieren meiner Pedale morgen benutzen kann. Für die Zugreise nach Reno muss ich mein Fahrrad 'boxen' und das heisst, Pedale weg und Lenker eindrehen. Ein Sackmesser hab ich von ihm schon vor ein paar Tagen bekommen, da ich meins ja in Wyoming bei einem Lunch liegen liess. Jetzt kann nichts mehr schief gehen! Die Rückfahrt geht über Highways 72, 31, 89 und schliesslich in Spanish Fork wieder auf die Interstate 15 Richtung Norden. Die Route ist zwar etwas länger, aber die verschiedenen National Forests, die ich dabei durchquere, sind es definitiv wert. Im Manti-La Salle NF sind bereits die ersten Anzeichen des Herbst sichtbar: Rote, gelbe und orange Blätter räckeln sich an den Laubbäumen in der warmen Sonne. Je tiefer ich wieder komme, um so heisser wird es. Als ich kurz vor 15.00 in SLC ankomme, bin ich durchgeschwitzt. Selberschuld kann man sagen, da ich den offenen Fenstern vs. AC den Vortritt gegeben habe. Ich suche mir ein Motel, das in der Nähe des Bahnhofs sowie dem Tempel liegt und das vom Autoverleih gut erreichbar mit dem Velo ist. Nach dem Retournieren des Chevy's komme ich nochmals um ein paar Schweissränder an meinem Kleid reicher im Motel an. Erfreut bemerke ich erst jetzt, dass der Laden einen Pool hat. Bis jetzt hab ich noch nie von einem solchen Angebot Gebrauch gemacht. Doch es ist erst nach 16.00, sauheiss und ich schreibe meine Berichte definitiv lieber draussen als im dunklen Econolodge-Zimmer. Also suche ich mir ein Schattenplätzchen, tauche einmal ins lauwarme Wasser ein und fange an, die letzten Tagesberichte und Fotos hier zu platzieren. Ein angenehmes Lüftchen weht inzwischen und ich bin einmal mehr rundum zufrieden mit meinem momentanen Leben.

03.09. - Nichts wie raus hier

Heute will ich nachholen, was ich letzte Woche wegen des Veloklaus verpasst habe: Eingehender Besuch des Temple Plaza’s und Besichtigung des Capitols. Doch zuerst möchte ich am Bahnhof bei Amtrak vorbei, um zu fragen, wie das mit dem Fahrrad heute Abend läuft. Ich habe mal gelesen, dass es Boxen gibt, in welche das Velo gepackt werden muss. Aber es stand auch, dass man sich für spezifische Verfügbarkeiten vor Ort oder über 1-800-USA-RAIL informieren soll. Da der Bahnhof in der Nähe des Motels ist, will ich hinfahren. Dann weiss ich auch gleich, wo ich heute Nacht in der Dunkelheit hin muss. Ich lade also meine Velotaschen an der Reception ab und packe nur das Nötigste für den Tag ein: Laptop und iPhone mit passenden Ladekabeln und Adapter, Sonnenbrille, Wasser, Apfel, Banane, Sonnencréme und –brille, alle wichtigen Dokumente, Stadtkarte und Sarong – eben das Wichtigste. Der Rucksack wiegt inzwischen fast so viel wie eine meiner Ortlieb-Taschen... Als ich beim Bahnhof ankomme, erkenne ich ihn zuerst gar nicht als solchen. Er besteht lediglich aus einem kleinen Hüttchen und einem Perron. Das hätte ich irgendwo im 'Gaggo' in Nebraska oder Wyoming erwartet – aber nicht in Salt Lake. Ausserdem ist er geschlossen. Bedient ist die Station von 22.00 bis 05.15. Das sind ja nette Öffnungszeiten und zeigt einmal mehr, dass der Zug definitiv eine Neben- wenn nicht Statistenrolle im Verkehrstheater der USA spielt. Dann komm ich halt heute Abend um 22.00 direkt für den Check-in und lass mich überraschen, was ich an meinem Drahtesel alles ab- und umschrauben muss. Ich mach mich also auf den Weg in den nächsten Starbucks, um um 11.00 mit Chrigi und Simi zu skypen. Ich muss Vivi mein neues Velo vor dem Laden zeigen und zum ersten Mal sehe ich meine frisch geschlüpfte Nichte Liv. So herzig das kleine Bündel. Zum Schluss ruft noch Käru über Facetime vom Wolfsberg an – eine schöne Überraschung. Schlussendlich ist kurz vor 14.00 als ich das Kaffeehaus verlasse. Getrunken habe ich während der ganzen Zeit einen Chai-Tee, den ich ganz zu Anfang noch auf der Terrasse verschüttet habe. Mit mir machen die das grosse Geld heute jedenfalls nicht. Es wundert mich sowieso, wie leer die Stadt teilweise ist. Als ich um 11.00 in der Openair-Mall Gateway angekommen bin, war es wie ausgestorben. Und auch jetzt noch macht Salt Lake nicht den Eindruck einer pulsierenden Stadt. Es hat Verkehr, wie bei uns am Sonntagmorgen vor 10.00. Leute hat es gerade Mal um und in Temple Plaza und das sind vor allem Touristen. Wo sind all die Leute, frag ich mich. Ich gehe erst Mal etwas in den Food Court von Macy’s essen. Ich kaue draussen in der brütenden Hitze an meinem Salat von Chick-fil-A und schreibe Mails, wie schon ewig nicht mehr. Ich habe Zeit und das Bedürfnis. Das Capitol hab ich schon längst abgeschrieben, da es auf einem Hügel liegt und mich keine zehn Pferde in der gleissenden Sonne dort hochbringen. Um 16.00 mach ich mich zu Fuss zum Temple Plaza und laufe um den Tempel, besuche das Visitor's Center und das ehemalige Wohnhaus von Brigham Young. Das war der Nachfolger von Joseph Smith, dem Gründer der Mormonen-Glaubensgemeinschaft. Er hat die vertrauensseeligen Gläubigen von der Verfolgung im Osten nach Salt Lake geführt. Er soll beim Anblick des Sees gesagt haben: "This is he place!" Nur blöd war es ein Salzsee. Aber auch ein Prophet kann sich ja mal irren... Bevor ich jedoch das Haus betreten kann, läutet mein Telefon. Valentin ist dran! Ich hab ihm vorhin eine Nachricht geschickt, um zu fragen, wo er steckt. Wir haben uns seit dem Velodiebstahl nicht mehr gehört und ich freue mich, seine Stimme zu hören. Er erzählt, dass er nach fünf Tagen in Denver in die Rockies gefahren ist. Diesmal aber dort, wo es richtig hoch ist. Er war bis auf 12'000 feet mit dem Velo. Nicht die Pippifatz-Rockies, die wir gemacht haben. Nun ist er in Utah im Arches National Park, der ca. 150 Meilen östlich von Fremont, wo ich eben grad war, entfernt ist. Es ist über 100°F dort und er hat keinen Zeltplatz mehr bekommen. Die Hiker-Biker-Plätze wie im Yellowstone oder Grand Teton gibt es hier nicht. Er fährt inzwischen mit fünf Litern Wasser im Gepäck und leidet unter der extremen Hitze. Ich fühle mit ihm! Die letzten Tag waren auch extrem heiss – und ich war nicht mit dem Velo in der brennenden Sonne unterwegs. Er ist etwas ratlos, wie es weitergehen soll. Es gibt teilweise keine Optionen zur Interstate und es sind tausende von Höhenmeter, die er Richtung Westen wiederum zurücklegen muss – bei der Hitze. Ich würde nicht in seiner Haut stecken wollen. Er wird wohl Touristen mit RVs oder Fahrer von Pickups fragen für eine Mitfahrgelegenheit Richtung Westen. Zum Glück muss ich mir um Val keine Sorgen machen. Der hat immer ein riesen Glück, wenn es um solche Situationen geht. Er gesteht mir noch, dass er seit unserer 'Trennung' und nach Denver dreimal in einem Motel übernachtet hat. Was er zuvor nie tat. Ich muss lachen – ist der doch noch vernünftig geworden. Nach 45 Minuten Getratsche und Updates verabschieden wir uns wieder. Ich begebe mich also auf die Tour durchs Beehive House. Zwei nette junge 'Sisters' begleiten mich. Die Informationen sollen wohl die Bescheidenheit und Schaffenskraft des Propheten Brigham Young hervorheben. Als ich frage, ob Brigham denn der prägendste Prophet, sprich auserwähltes Oberhaupt der Kirche, gewesen sei, verneinen sie dies vehement. Doch es lässt sich wohl nicht wegreden, dass Joseph Smith keine Mormonen-Uni nach sich benannt hat. Die heisst nämlich BYU: Brigham Young University. Und Brigham City, wo ich vor meiner Ankunft in SLC übernachtet habe, heisst auch nicht Joe Smith City. Die beiden Schwestern sind sowieso sehr bedacht, etwaig kritische Fragen bereits im Vorfeld mit Konservenantworten zu beantworten. Die Sister Davies gibt auf die nicht von mir gestellte Frage, wieso die Apostel und der Prophet denn alles alte Männer seien eine Antwort, die die Schlagwörter 'Weisheit' und 'Erfahrung' mehrmals erwähnt. Sister Emrill nickt bekräftigend. Anscheinend wird einfach der älteste Apostel der neue Prophet, wenn der aktuelle dahingeschieden ist. Offenbar ist Alter das einzige Kriterium. Gibt es nicht den Spruch: Alter schützt vor Torheit nicht? Aber der ist wohl nicht aus der Bibel und auch nicht aus dem Book of Mormon und somit nicht gültig in der Welt der LDS-Anhänger. Nach 20 Minuten steh ich wieder auf der Strasse und es ist inzwischen nach 18.00. Ich mach mich auf zu meinem Velo auf der anderen Strassenseite. Schon von Weitem sehe ich, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ich komme näher und sehe, dass ich einen Platten am vorderen Reifen habe. Das darf echt nicht wahr sein, denke ich mir, wo ist die versteckte Kamera? Eben habe ich mit Val noch über seinen ersten platten Reifen auf der Interstate gesprochen und ich hab grad meinen vierten eingefangen. Ich beginne das Velo die South Temple Road runter zu stossen. Zum Glück ist mein Motel an der North Temple und nur ein paar Blocks weit weg. Wobei 'Blocks' hier nicht den Blocks in Manhattan entsprechen. Ein SLC-Block ist etwa zwei oder drei Manhattan-Blocks... Aber ich habe ja Zeit – der Zug fährt erst um 23.30. Nach wenigen Metern kommt ein hilflos dreinschauender, bebrillter Mann mit einem Zettel in der Hand auf mich zu. Falsche Adresse, denke ich mir nur. Er zeigt in gebrochenem Englisch auf den Namen eines Restaurants, das irgendwo in der Nähe sein soll. Der Mann ist Italiener, der eben heute angekommen ist und auf seine Freunde wartet, die morgen von Alaska einfliegen. Da ich das Restaurant in der Nähe des Starbucks von heute Morgen gesehen habe, und das auf meinem Weg liegt, nehm ich ihn mit. Sein Englisch ist wirklich nicht sehr gut, aber ich muss grinsen, als er mit breitem italienischen Akzent sagt: "Dis iiiis ei streeeinsch ciiiiity" Was ich vorhin mit den wenigen Leuten und dem spärlichen Verkehr geschrieben habe – das empfindet er auch so. Wir trennen uns nach zwei Blocks wieder und ich schiebe das havarierte Rad zur Econolodge. Dort packe ich mein Werkzeug aus und beginne den Reifen zu wechseln. Zum Glück ist es vorne, wo ich nur einen Hebel umlegen und eine Schraube lösen muss, um das Rad aus der Gabel zu heben. Hinten hätte ich den Engländer von Rolf zur Hilfe nehmen müssen. Ist eben Alles nicht so unkompliziert, wie bei meinem Tout Terrain – sniff. Doch ich habe mir heute überlegt, dass der Diebstahl am Ende des Tages eigentlich als Glücksfall angesehen werden kann – immer gegeben, dass mich das neue Gefährt ohne weitere Probleme nach San Francisco bringt. Ich muss nun das Velo in San Francisco nicht demontieren, verpacken und Sara und Dani damit belasten, es an den Flughafen zu bringen und dann in Zürich bei sich einzulagern. Ich habe lediglich einen Selbsbehalt von CHF 200 bei meiner Versicherung, was ich als Mietpreis für ein hervorragendes Leihfahrrad verbuchen kann. Was ich dann nach meiner Rückkehr mit dem vergüteten Geld mache, kann ich mir noch überlegen. Vielleicht wird es wieder ein Velo, vielleicht auch nicht. Ist doch eigentlich eine ganz gute Situation. Eben, immer gegeben, dass jetzt nichts mehr gross schief geht. Denn ich habe vor einer Stunde eine SMS erhalten, dass mein Zug statt um 23.30 nun um 03.18 abfährt. Grossartig, nur vier Stunden Verspätung und das Wartehäuschen sah nicht gerade kuschlig aus. Ich bin inzwischen bei McDonald’s gelandet, nachdem das All-you-can-eat Panda Buffet Restaurant um 22.00 geschlossen hat. Doch Mc schliesst auch in zehn Minuten und dann muss ich mir was überlegen. Hier hat es lauter komische Leute auf der Strasse und die Alternativen sind nicht grad in grosser Anzahl vorhanden. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass Salt Lake und ich einfach nicht kompatibel sind.  Mein Motto im Moment: Nichts wie raus hier!

04.09. - Hitting the Jackpot in Reno?

Ich komme kurz vor 00.00 im Bahnhofshäuschen an. Rund ums Gebäude schleichen Leute herum, die wohl eher nicht mit dem Zug zu reisen gedenken. Es sind schon einige Passagiere vor Ort und ich suche mir zwei Sitze ganz am Rande. Das Neonlicht scheint stumm klarstellen zu wollen, dass ich ja nicht mit Schlaf in diesem Raum rechnen soll. Der Schalterangestellte verkauft mir eine Bike Box für 15 USD und verrechnet noch 10 USD Handling Fee. Wenigstens muss ich so mein Velo in der Box nicht selber ans Perron schleppen. Ich muss die Pedale lösen und den Lenker eindrehen. Eine ältere, dürre Frau bietet mir gleich von Anfang an ihre Hilfe an. Anscheinend wird ihr 70-jähriger Bruder am Ironman in Tahoe Ende Monat teilnehmen und so fühlt sie sich mir und meinem Velo irgendwie verpflichtet. Der Lenker ist schnell eingedreht und die erste Pedale kommt auch ring runter. Nur die zweite will sich partout nicht bewegen. Da kommt mir ein Engländer zu Hilfe, der mit seiner Frau und Tochter ebenfalls wartet. Ich verstehe zwar immer nur ein Drittel von dem was er sagt, aber die Pedale kommt runter - zum Glück. Nachdem das Velo und eine Ortlieb-Tasche eingechecked sind, schwatze ich weiter mit dem Engländer aus Hull. Verstehen tu ich immer noch nichts, aber es ist nett, sich mit jemandem Normale zu unterhalten. Der Raum wimmelt nur so von komischen Leuten. Da gibt es eine Frau, die vorgibt eine 'Dependent' eines Soldaten zu sein. Solche Leute, meist Ehefrauen, reisen dann jeweils gratis. Sie spricht aber von ihrem Sohn. Bei der Frage nach einem Ausweis, gibt sie an, sie sei ausgeraubt worden und alle seien weg. Ohne Ausweis wird sie aber nicht mit dem Zug reisen können, das stellt der Herr hinter dem Schalter klar. Einen Polizeireport kann sie aber auch nicht vorweisen. Die wirren Aussagen der Frau, inzwischen in einen Morgenmantel gehüllt, lassen einem vermuten, dass ihre Geschichte in Wahrheit wohl anders aussieht und sie irgendwelche Substanzen intus hat. Beim Notausgang liegt ein Mann, der am Schlafen zu sein scheint. Der Schalterangestellte scheint sich solche Typen schon gewöhnt zu sein, sagt er doch nur: "If you don't have a ticket, you have to leave" Kurz vor 03:00 kommt der California Zephyr Richtung Westen an. Inzwischen sind auch die Passagiere in Richtung Osten am eintrudeln und ich bin froh, endlich an die frische Luft zu können. Wir stehen alle in einer Schlange und warten, bis der Kondukteur uns übers Gleis lässt. Die Frau ohne Ausweise und im Morgenmantel versucht vergeblich, auf den Zug zu kommen und kniet sich irgendwann weinend am Boden gegen einen Kontainer. Sie hat aufgegeben. Rund 20 Minuten später sitzen wir alle im Zug, der sich langsam in Bewegung setzt. Vier Stunden Verspätung sind nicht grad toll, aber richtig beschissen ist es vor allem für jene, die bereits seit Chicago hier drin sitzen - das heisst seit über 36 Stunden... Es gibt Leute, die reisen vom Ausgangsort Chicago bis zur Endstantion Emeryville, kurz vor San Francisco, in diesem Zug. Das wären dann 50 Stunden. Nur wer sich kein Flugticket leisten kann oder kein Auto besitzt, nimmt diese Strapazen auf sich. Dem entsprechend sind viele Passagiere auf diesem Zug in ihrem Leben nicht gerade auf Rosen gebetet. Ich bin aber überrascht, wie grosszügig und bequem die Sitze sind. Die haben 'Leg rests' und die Rückenlehnen lassen sich weit nach hinten verstellen. Fast wie in der Business Class der Swiss. Nur das Personal ist nicht ganz so freundlich. Aber dies machen die Steckdosen, die es überall zum Laden von elektronischen Geräten hat wieder wett. Ich habe lieber ein voll geladenes iPhone als eine stetig strahlende Stewardesse. Als die Sonne um 09.00 schon kräftig über der Wüste strahlt, bin ich einmal mehr froh, im Zug zu sitzen. Um 12.00 kommen wir endlich in Reno an und bis ich mein Velo wieder zusammengesetzt habe, steh ich mutterseelen alleine auf dem Perron. Das Hotel Siena Spa & Casino ist nicht mal fünf Minuten mit dem Velo weg. Für den Preis von 80 USD pro Nacht kriege ich hier in Reno ein Viersterne-Hotel. Da weiss man, womit die Läden in dieser Stadt ihr Geld machen. Für 80 USD hab ich an vielen gottverlassenen Orten ein schmudeliges Motelzimmer bekommen. Hier bekomme ich dafür ein modernes Zimmer, einen Pool mit Tüchern und nette Shampoo- und Conditioner-Fläschli. Die Casinos hier erinnern mich an das alte Las Vegas, welches ich 1997 gesehen habe. Nur, dass die Spielautomaten defintiv nicht alt sind. Damals konnte ich noch mit Quarters an einen Automaten sitzen und die Münzen reinstecken. Nun scheint das alles über Karten und elektronisch zu laufen. Ich bin total überfordert und verstehe nicht, um was es an den Geräten geht. Ich stecke meine sechs 25-Cent-Stücke nach ein paar Runden durch die Halle wieder ein. Das wird wohl nichts mit dem Jackpot heute Abend. 

05.09. - Hitze + Unpaved Roads + Platten = Are you kiddin' me?

Der Tag beginnt mit einem herzhaften Frühstück beim stadtbekannten Diner Peg's Glorified Ham n Eggs. Die Schlange vor dem Laden ist vielversprechend. Mein 'Peg's Scrambled' find ich dann aber nur grad medioker. Der Laden scheint wirklich etwas zu sehr glorifiziert - wie's der Name ja eingenlich sagt. Manchmal werden diese Läden Opfer ihres eigenen Erfolgs. Und die Gäste ebenfalls. Die Reviews scheinen mir im nachhinein leicht übertrieben. Aber man muss ja ins gleiche Horn blasen wie all die Deppen vor einem, sonst heisst es noch, man habe keine Ahnung. Ich bin enttäuscht und hab auf meiner Reise schon das eine oder andere Frühstück im Hinterland gehabt, das locker mit dem mittelprächtigen Rührei von Peg mithalten kann. Aber ich bin satt und gestärkt für meinen Trip nach Truckee. Truckee liegt rund 65 km von Reno entfernt, je nachdem welche Route man nimmt. Es gehört ist bereits in Kalifornien und liegt in der Nähe zweier Auffahrtsstrassen nach Lake Tahoe. Ich habe während meiner Vorbereitungen mal gelesen, dass es kurz nach Reno den Tahoe Pyramide Bikeway dorthin gibt. Also mach ich mich um 10.30 auf den Weg und stoppe bei Verdi noch an einer Tankstelle, um mir eine erfrischende Diet Pepsi zu gönnen. Es ist inzwischen kurz nach 12.00 und ich bin schon wieder mächtig am schwitzen. Bis jetzt gings stetig bergauf und ich weiss, das grösste Stück kommt noch. Ich bemerke leider erst jetzt, dass der Bikeway ab hier an mein Ziel entlang des Truckee Rivers teilweise geschlossen ist. Wenn ich nicht auf der Autobahn fahren will, was hier verboten ist, oder nach Reno zurück will, was 20 km wären, gibt es nur eines: Die Henness Pass Road. Zum Glück weiss ich da noch nicht, was mich erwartet. Ich glaub, ich wäre zurück nach Reno oder hätte Autostop gemacht... Nach rund 3 km den Hügel rauf seh ich ein Schild mit der Aufschrift 'Pavement Ends' und ein anderes, das informiert über 'rough road'. Aber ich bin schon zu weit, um wieder umzukehren und lasse mir das als Fall Back Option offen: Falls mir das Wasser ausgeht und ich ohnmächtig werde. Infos auf dem Internet besagen, dass man die Strasse mit 4x4 oder High Clearance Vehicles (Gefährte, die das Chassis nicht zu nahe am Boden haben) befahren soll. Das finde ich aber erst am Abend im Hotel raus... Es kommen mir dann die nächsten 10 km vor allem auch Quads, Cross Motorbikes und Pickups des Tahoe National Forest Services entgegen. Doch so weit bin ich noch nicht. Nach ca. 2 Kilometern brauch ich die erste Pause. In dem Moment als ich stoppe, beginnt mein Herz wie wild zu schlagen und mir wird leicht übel. Keine guten Voraussetzungen für den weiteren Verlauf meiner Bergetappe. Und ich merke, dass ich mit meinen 1.5 Litern Wasser eher auf der knappen Seite bin. Die nächste Unterbrechung ist nicht ganz freiwillig. Mein fünfter platte Reifen zwingt mich dazu. Ich hatte so eine Vorahnung nach dem vierten Platten in Salt Lake. Ich habe deshalb gestern in Reno noch einen Ersatzreifen gekauft. Die Pneus sind in einem so schlechten Zustand und leider nicht Schwalbe's Marathons. Ich habe schon nach den ersten paar Kurven weiter unten bemerkt, dass ich relativ wenig Luft im hinteren Schlauch habe, aber ich hoffte mit einer kindlichen Naivität, dass ich es zumindest bis zum Summit 1 auf 6'390 feet schaffe. Leider nein. In einem Waldstück (wenigstens hats Schatten) ist fertig lustig. Das ganze Gepäck kommt in der staubigen Strasse zu liegen. Inzwischen bin ich ja Profi im Reifen wechseln, aber ich bin unglaublich genervt. Alles ist staubig und meine Tätowierer-Handschuhe sind das letzte Paar, welches ich schon in SLC gebraucht habe. So sind meine Hände genauso schwarz nach der ganzen Prozedur, als hätt ich die Dinger gar nie angehabt. Ausserdem ist das Aufladen des Gepäcks mit dem neuen Bike ein Spiessrutenlauf. Der Veloständer ist nur von Nutzen, wenn das Velo nicht beladen ist. Sobald ein paar Gramm Gewicht auf einer Seite hängen, kippt der Göppel um. Kostet wieder Nerven und Zeit. Als ich dann losfahre, merke ich nach dem dritten Tritt, dass die eine Tasche zu nahe an der Pedale ist, so dass ich mit der Ferse jeweils Kontakt habe. Es gibt nix - ich muss absteigen und das ganze richten. Leider wird aus dem Quick-Fix auch nichts und der Zeltrucksack, die Lenkertasche (die keine mehr ist) und die Ersatzwasserflasche landen auf der staubigen Bergstrasse. Ich muss das Bike ebenfalls hinlegen, da es ja nicht selber stehen kann. Als ich die Lenkertasche aufheben will, fällt mir die Hälfte des Inhalts ebenfalls auf die Strasse: iPhone, Geldbörse etc. Ich verliere die Fassung und schreie lauthals rauf in die Baumkronen: "Are you f****ing kidding me?? Really??" Nicht, dass ich irgendeine Antwort von jemandem erwartet hätte. Aber ich bin inzwischen soooo übel gelaunt... Und ich weiss, dass ich noch gar nirgends bin. Es geht auf dieser Schotterstrasse mindestens noch 7 km weiter den Hügel rauf. Zum guten Glück nach 2 km nicht mehr ganz so steil und irgendwann dann bergab. Ich holpere mit 7 bis 12 km/h den Berg hinunter. Schneller geht nicht wegen all der grossen Steine, Schlaglöcher, Kies, Sand - you get the picture... Zum Glück muss ich beim Stampede Reservoir links abbiegen und ab dort gibt es wieder eine geteerte Strasse. Ich habe mir nach Nebraska geschworen, nie wieder Schotterstrassen zu fahren. Hat wohl nicht ganz geklappt - and there is more to come... Das weiss ich aber zu dem Zeitpunkt auch noch nicht. Das Stück entlang der Stampede und Boca Reservoirs ist wunderschön und entschädigt mich teilweise für die Strapazen. Es gibt viele Fischer entlang der Strecke, die auf Petri's Heil hoffen. Als ich am Prosser Damm ankomme, der kurz vor der Interstate 80 liegt, muss ich erneut GPS und iPhone zur Hilfe nehmen. Diese führen mich über den Damm, um einen Berg, Richtung Truckee, welches nur noch 15 km weit entfernt ist. Es ist inzwischen nach 16.00. Während ich den Damm überquere, kommen mir erneute Cross Motorbikes entgegen und ich habe ein ungutes Gefühl. Auch, weil ich beim Damm einige Radrennfahrer habe bei ihren Autos stehen sehen. Aber keinen, der mit dem Rad über den Damm gekommen wäre... Und so erwartet mich nach der zweiten Kurve bereits wieder eine ungeteerte Strasse. Damit habe ich nicht mehr gerechnet! Aber was für eine Wahl habe ich? Eben... Nachdem ich nochmals 13 km über Stock und Stein fahre, kündigt sich endlich Truckee Downtown an. Ich fahre zuerst an einem Golfplatz vorbei und unzähligen grossen schönen Häusern. Es wird klar, dass die meisten der rund 16'000 Einwohner in und um Truckee gutsituiert sind. Und mir fällt ein, dass ich mich noch um eine Unterkunft kümmern muss. Ich dachte die letzten Tage eigentlich, dass ich eventuell campen könnte und hab mich über Campsites informiert. Nach dem Höllentrip von heute, ist das Projekt aber definitiv gestorben. Ich bin so verschwitz wie schon lange nicht mehr und sowohl mein Gepäck, Velo sowie ich sind von oben bis unten mit Staub bedeckt. No way, dass ich auf einen Dusch-losen Zeltplatz gehe! Nach etwas herumtelefonieren am Strassenrand, reserviere ich ein Zimmer mit Etagendusche im Truckee Hotel, das 1873 erbaut wurde und im historischen Zentrum des Orts liegt. Als ich dort ankomme, weiss ich, dass es mir in diesem Städtchen gefallen könnte. Es hatte an der kurzen Hauptstrasse nette Shops, tolle Restaurants, Cafés und Bars. Ein Ort eben für die Städter aus Silicon Valley, um ein entspanntes Wochenende zu verbringen. Mein Zimmer ist im vierten Stock, eine Art Mansarde. Aber sehr herzig und gemütlich eingerichtet. Das Bad auf der Etage ist mir in dem Moment auch vollkommen egal. Nur, dass ich in den vierten Stock mit meinem ganzen Gepäck laufen muss, stinkt mir ein bisschen. Tja, historisch heisst eben auch 'no elevator'. Die Treppen sind ultra-steil und ich merke sofort, wie meine Beine nach den über 1'000 geradelten Höhenmetern schmerzen. Wenigstens kann ich das Velo irgendwo bei der Küche an einem Gestell festbinden. Das blonde Mädel von der Reception hat mir zuerst vorgeschlagen, ich könnte es mit ins Zimmer nehmen. Ich verbuche diese Aussage zu ihren Gunsten mal unter 'äusserst schlechter Scherz'. Um mich für den anstrengenden Tag zu entschädigen, schlage ich beim lokalen Edel-Italiener Pianeta auf. Wie so oft, wenn man alleine ist, wird man an die Bar verwiesen. Ich quetsche mich also zwischen ein älteres Päärchen zu meiner Linken und einen blonden Typen zu meiner Rechten. Was ich an diesen Settings nicht mag: Man ist fast gezwungen, mit einem der Nachbarn zu konversieren. Und in dem Fall bleibt nur der Blonde zu meiner Rechten. Der hat gerade seine Vorspeise verdrückt und hat ein Glas Weisswein vor sich stehen. Das ist dann auch der Aufhänger und ich frage ihn nach seiner Empfehlung. Zufälligerweise ist er Weinhändler und wir kommen schnell ins Gespräch. Jeremiah ist Mitte Dreissig und vor über zehn Jahren wegen dem Snowboarden aus L.A. hier hergezogen. Mit der Profi-Karrriere wurde zwar nichts, aber er ist hängengeblieben. Er schwärmt so von Truckee und der Tahoe-Gegend, dass ich am Ende des Abends vollends überzeugt bin, dass ich noch einen Tag länger hierbleiben will. Jeremiah verlässt mich kurz nach 21.00 wegen seiner Hunde, gibt mir aber zuvor noch seine Karte. Ich habe erwähnt, dass ich morgen an den Donner Lake, der etwa 15 Meilen weiter draussen liegt, möchte. Der soll super-schön sein und gut zum Schwimmen. Er wird morgen dort mit seinen Hunden hingehen und offeriert mir eine Mitfahrgelegenheit. Mal sehen. Er fährt bereits um 09.00 und will um 13.00 wieder zurück sein - wegen Arbeit, sagt er. Das ist mir aber doch etwas zu früh und ich will nicht schon am Mittag wieder aufbrechen müssen. Mal sehen, wann ich morgen aufwache :)