Jeder Kilometer zählt!

Über 75 Sponsoren haben für jeden von mir gefahrenen Velokilometer in den USA 1 Rappen an Tixi gespendet. Herzlichsten Dank!

Mid-West here I come

20.07. - On the road again

Nach einem wunderbaren Tag am Strand gestern Samstag im mondänen Glencoe, ist es nun definitiv an der Zeit, meine Reise Richtung Westen fortzusetzen. Als erstes gilt es nun, das 'Land of Lincoln' zu durchqueren. Anscheinend ist Abraham Lincoln mit 21 Jahren nach Illinois gezogen und hat hier bis zu seiner Wahl gelebt. Alle paar Kilometer werde ich auf meiner Route durch unzählige Schilder daran erinnert. Entlang der vielen Highways, die ich bis jetzt befahren habe, gibts immer wieder ganz interessante Informationen von eben solchen Schildern zu lesen. Ein Beispiel sind die weitverbreiteten Adoptions-Schilder: In ganz Nordamerika kann man als Verein, Firma oder Person einen Strassenabschnitt 'adoptieren'.  Damit trägt man zur Sauberhaltung der Strassen bei und erhält im Gegenzug ein Schild auf dem Highway mit dem eigenen Namen. Nebst den üblichen Rotary-& Co.-Clubs, lokalen Anwaltskanzleien und Autowerk-stätten tauchen auch immer wieder viele Personennamen auf. Meistens  gedenken Familien so einem verstorbenen Vater oder einem verlorenen Sohn in aller Öffentlichkeit. Ich hab heute das erste Mal darüber nachgedacht, mir auch so einen Abschnitt unter den Nagel zu reissen. 'Meinen' Highway-Teil würde ich dann mit 'Regi's Bike Trip 2014' oder 'Regi on the road again' beschriften lassen :) Nachdem Gruppierungen wie der Ku Klux Klan oder die American Nazi Party keine Highways mehr zu sponsern scheinen, dünkt mich das Programm auch nicht mehr ganz so kontrovers. Mal sehen, was so ein Schild in Illinois kostet - Kalifornien werd ich mir wohl kaum leisten können... Was auch ganz amüsant ist, sind die Namenslisten lokalen Athleten, die irgendwann mal in einem regionalen oder nationalen Wettkampf, mit von der Partie waren oder gar etwas gewonnen haben. Da findet man vom Ringer über den Speer-werfer bis hin zum Schachspieler Athleten aus allen erdenklichen Disziplinen. Und jetzt wo ich wieder in ländlichere Gegenden komme, sind auch Gott und sein Sohn wieder präsenter. Ein Städtchen versucht mit 'Even Jesus partied, Fair tickets sold here' die Werbetrommel für sein Dorffest zu rühren. Ich hoffe es hilft! Mein Motel in Belvidere  ist wieder einmal unterirdisch. Eines von der Sorte, das keine Webseite hat. Inzwischen weiss ich ja in etwa, was mich da erwartet. Was ich bis heute jedoch noch nicht erlebt habe: Der Betreiber bittet mich vor dem Zimmer zu warten, weil er noch schnell staubsaugen muss. Nach geschätzten 15 Sekunden kommt er wieder raus und übergibt mir den Zimmerschlüssel. Nach einer flüchtigen Inspektion des Bodens frag ich mich, ob der einfach im Zimmer gestanden ist, den Staubsauger hat laufen lassen und sich in der Nase gebohrt hat... Aber wenigstens hat es für einmal Stühle vor den Zimmern, so dass ich einen Grossteil meiner Tagesbilanz draussen schreiben kann - zumindest bis die blutrünstigen Moskitos wieder beginnen, Jagd auf mich zu machen. Also jetzt...

21.07. - Fast wie bei 'Star Trek'

Bevor ich mich heute Morgen auf den Weg mache, lege ich einen Zwischenstopp bei Aldi ein. Richtig gelesen: Aldi. Der Discounter gehört in den USA anscheinend zu den grössten 25 Lebensmittelhändlern und ist mit rund 1'200 Läden in 32 Staaten präsent. Hier kaufe ich mir wiedermal frische Früchte für meine Etappe nach Freeport. Einige Stunden später bin ich froh darum, denn mein GPS sendet mich wieder mal auf verlassene Landstrassen, wo es während fast 40 km keine Tankstelle gibt, geschweige denn ein Restaurant. Nur Farmen im Abstand von mehreren Kilometern und unendliche Weiten von Soja- und Maisfeldern. In solchen Momenten muss ich jeweils an den Vorspanntext von Star Trek denken: "Space. The final frontier. These are the voyages of the starship Enterprise. Its continuing mission: to explore strange new worlds, to seek out new life and new civilizations, to boldly go where no one has gone before." Ich als Captain Kirk auf Entdeckungs-reise mit dem Velo - schöne Vorstellung :) So verpflege ich mich in dieser neuen Umgebung mit meinen Blueberries, einem riesigen Apfel sowie Beef Jerky und einem Getreideriegel, welche ich immer als Notvorrat in der Velotasche vorne links mitführe. Die Strassen sind hier hügeliger als ich es mir von Ohio und Indiana gewöhnt bin. Und es ist auch wieder einiges heisser geworden. Mit den 1.5 Liter Wasser reicht es knapp bis zu meinem Ziel. Aber ich muss mich ab jetzt morgens wieder etwas grosszügiger mit Flüssigkeit eindecken und kann mich weniger auf Tankstellen verlassen. Heute bin ich bereits um 15.30 in meinem Super-8-Motel in Freeport. Da hab ich genügend Zeit, meinen Lunch für morgen zu besorgen und mir die Altstadt von Freeport  anzusehen. Der Einkauf  gestaltet sich wieder mal ergiebiger als die Sightseeing-Tour. Bei Cub Foods stapeln sich die Kartons und Kontainer meterhoch. Für mich ist es immer eine Herausforderung, was ich brauche in einer Menge zu finden, die nicht für eine 10-köpfige Bauernfamilie gedacht ist. Mit Früchten ist das noch relativ einfach, aber was ich nie in kleinen, einzelnen Flaschen finde ist z.B. Apfelsaft. Da müsste ich mindestens einen Kontainer von drei Litern kaufen oder einen Karton mit zehn kleinen Flaschen. Leider hab ich nicht so viel Platz auf dem Velo und mein Verdauungstrakt würde sich wohl auch entsprechend bedanken. Mengen, die es bei uns nur bei Prodega gibt, sind hier der Standard. Was ich inzwischen besser nachvollziehen kann: Viele Familien wohnen abgelegen und können nicht alle paar Tage irgendwo Lebensmittel einkaufen gehen. Zu lange ist der Weg. Und die Autos sind ja auch genug gross, um die Unmengen von Waren transportie-ren zu können. Aber für einen Single-Haushalt in ländlichen Gegenden Lebensmittel einzukaufen, muss ein echter Spiesrutenlauf sein. Doch wahrscheinlich gibt es dieses eher städtische Lebenskonzept hier  sowieso äusserst selten. Somit kaufe ich mir jeweils meinen Apfelsaft oder den überlebenswichtigen Power-Riegel anschliessend an einer Tankstelle. So auch heute. Danach radle ich Richtung Downtown weiter, wo es gemäss der städtischen Webseite eine schöne Altstadt geben soll. Was ich kurz nach 18.00 vorfinde ist eine Geisterstadt, die nicht annähernd so viel zu bieten scheint, wie angepriesen. Immerhin hat der Ort über 25'000 Einwohner - wo sind die alle? Jedenfalls nicht im Landmark Family Restaurant, wo ich etwas konsterniert für das Nacht-essen einkehre. Zum Glück bin ich so früh dran, denn der Diner schliesst jeweils um 20.00. Das Essen weisst durchaus Parallelen mit Star Trek auf: (...) explore strange new worlds (...) boldly go where no one has gone before. Das Roasted Chicken mit Mashed Potatoe ist mit mindestens einem Liter gelber Gravy übergossen. Ich kann kaum ausmachen, was Kartoffelstock ist und was Sauce. Und das, nachdem der Vorspeisensalat mit roter, süsslicher Sauce bedeckt auf meinem Tisch aufschlägt und ich feststellen muss, dass 'French Dressing' hier offenbar anders aussieht und schmeckt als anderswo. Man kann über McDonald's & Co. denken was man will, aber man weiss wenigstens, was einem erwartet. Zumindest entspricht der Preis von 8 USD inklusiv Getränk meinen Vorstellungen für ein Essen dieser Art. Und die wenigen Gäste, die nebst mir noch anwesend sind, sind äusserst unterhaltsam. Da hat es eine alte Dame und eine mittelalterliche Frau, die sich über zwei Tische hinweg, für alle hörbar, ausführlich über ihre Vorfahren aus Deutschland und der Schweiz unterhalten. Ausserdem träumt die Jüngere der beiden offenbar von einem Trip nach Irland: "I really wanna go to Ireland one day. Just flyin' to Gatwick, gettin' in a car and start drivin'." Ob sie wohl weiss, dass Dublin unter Umständen die bessere Destination wäre für eine Irlandreise mit Auto? Oder der bebrillte Herr, der mich an Stephen King erinnert, alleine an einem Tisch hinter mir Platz nimmt und von der angeblich hausgemachten Tomatensauce probieren will. Obwohl er schon definitiv weiss, dass er die Spaghetti mit Meatballs heute nicht bestellen will. Aber für ein anderes Mal wüsste er dann schon, wie sie schmecken würde, meint er. Ich sag euch, es ist wirklich manchmal wie in Star Trek: Exploring new worlds, seeking out new life and new civilization.

22.07. - Die 3 S': Staub, Schweiss und Schmeissfliegen

Meine Etappe führt mich heute von Freeport nach Galena. Der Ort, anscheinend eine romantische Wochenenddestination, ist mein letztes Ziel im Staat Illinois. Danach geht es über den Mississippi nach Iowa. Gemäss GPS sollen es an diesem Tag rund 65 km sein. Diese Angabe habe ich inzwischen grosszügig zu ignorieren gelernt. Denn das Gerät rechnet offenbar die Luftlinie aus, und nur wenn ich in der detailierten Rountenführung anfange zusammenzurechnen, komme ich auf die tatsächliche Anzahl Kilometer. Was aber nicht ersichtlich ist, sind jeweils die Höhenmeter - was keine unwichtige Info ist. Vor allem, wenn das GPS so eingestellt ist, dass es immer die Route mit der kürzesten Distanz aufzeigt - jedoch Highways, wie der Teufel das Weihwasser,      meidet. 85 km im Flachen sind logischerweise einfacher und schneller zu bewältigen, wie die selbe Strecke über Hügel und Kuppen. Das durften ich und mein Drahtesel heute wieder mal am eignen Leib erfahren. Mein kleiner Helfer führt mich auf verlassene Nebenstrassen, um den Highway 20 grosszügig zu umfahren. Nach etwa 20 km wird die Cemetary Road, auf der ich mich grad befinde, kurzerhand zur staubigen Schotterstrasse. Ich komme nur noch mühsam voran und jede steile  Steigung wird zum anstrengenden Abenteuer, da mir das Hinterrad immer mal wieder durchdreht und ich bei der folgenden Abfahrt wie besessen am bremsen bin. Eine wahre Freude wirds, als mir der erste Pick-up in nicht ganz langsamen Tempo entgegen kommmt und ich schon von weitem die Staubwolke sehe, die sich hinter ihm herzieht. Da gibts nur eins:   Augen und Mund fest zusammengepresst und nicht atmen... Richtig angenehm das Gefühl von Schweiss, der sich nun von Kopf bis Fuss mit dem Strassenstaub zu vermischen beginnt. Und dann ist es auch noch so unterträglich heiss und tüppig... Nach ein paar Kilometern in dieser Staub- und Hügellandschaft entschliesse ich mich, mich nach einer alternativen Route umzusehen. Just in dem Moment wird die Strasse wieder besser und ich will nun doch der Strecke weiter folgen. Nur damit es ein paar Kilometer später wieder von vorne losgeht. Diesmal wirds noch besser. Der kommende Abschnitt hat kleine Flüsschen und Wäldchen zu bieten. Was idyllisch und verträumt klingen mag, ist in Realität die reinste Tortur. Jede erdenkliche Art von Fliegen, Mücken und Käfern tummelt sich in dieser Umgebung. Wer 'CSI:Las Vegas' kennt weiss, dass Grisom hier seine wahre Freude gehabt hätte. Ich nicht. Vor allem in den Steigungen stürzen sich die Viecher freudig und gnadenlos auf mich. Es ist inzwischen fast 14.00 und ich habe immer noch nichts gegessen, obwohl mein Magen schon seit einer Weile knurrt. Also halte ich irgendwann auf einem kleinen Wiesenstück, um mir eine kurze Pause zu gönnen. Kurz ist sie in der Tat - gerade mal sechs Minuten. In der Zeit wechsle ich mein Shirt (von kurzarm auf Träger) und schlinge eine Banane, ein Stück warmen Käse sowie drei Bissen Brot hinunter, immer umherlaufend und fuchtelnd. Schimpfend natürlich auch. Die sind wirklich überall die Biester! Nach ein paar Schlücken Wasser mit Apfelsaft schiebe ich mein staubiges Velo wieder auf den Schotterweg und trete kräftig in die Pedale, um meinen Peinigern zu entkommen. Nach ein paar Metern fische ich noch meine Nektarine aus der Lenkertasche und esse diese im Fahren. Es ist inzwischen weit über 30 Grad, der Schweiss läuft mir immer wieder in die Augen und brennt unangenehm. Das ist der Punkt, wo ich auf die schönen Backroads zu pfeifen beginne und nur noch nach dem Highway 20 Ausschau halte. Zum Glück ist der inzwischen nicht mehr allzuweit. An der Kreuzung angekommen, verputze ich noch die übrig gebliebene Tomate und begebe mich dann auf die grosszügige 'Shoulder'. Ich war noch nie so froh, endlich wieder auf einer Schnellstrasse radeln zu können. Das GPS schalte ich auf stumm und beschliesse, ab heute Abend die Strecken jeweils online auf Garmin connect zu erstellen, mit google-Maps zu vergleichen und sie dann auf den Edge810 zu laden. Kurz vor 18.00 treffe ich im Best Western in Galena ein. Ich war schon lange nicht mehr so erleichtert, an meiner Tagesdestination angekommen zu sein. Obwohl die Ankunft im Motel grundsätzlich zu den Tageshöhpunkten gehört - wenn es nicht gerade wieder eines der muffigen Sorte ist. In ein kühles Zimmer zu kommen, die verschwitzten Velokleider abzulegen, eine erfrischende Dusche zu nehmen und den ganzen Schweiss des Tages abzuwaschen - einfach himmlisch! Danach verläuft der Abend mehr oder weniger immer nach dem selben Muster: GPS und iphone chargen, Laptop auf dem Bett parat machen, Fotos auf die Dropbox laden und bearbeiten, Webseite checken ob jemand ins Gästebuch geschrieben hat (freue ich mich immer ganz besonders darüber), Mails checken (freu ich mich noch mehr), danach aktuelle Fotoauswahl und Zahlen aufschalten und meine Tageszusammen-fassung beginnen. Parallel dazu laufen die lokalen Nachrichten oder der Wetterbericht. Irgendwann suche ich mir einen Ort für das Abendessen. Die Kriterien dafür sind relativ simpel: So nahe wie möglich beim Motel und wenn vermeidbar keine Burger- oder Pizza-Bude. Heute gibts hier draussen leider nur eine Tankstelle und Happy Joe's Pizza & Ice Cream. Falls ihr Happy Joe's nicht kennt: Der hat die Taco-Pizza erfunden. Das besagt zumindest die speckige Speisekarte. Ich weiss nicht, wie man auf eine solch grauslige Erfindung auch noch stolz sein kann. Deshalb entscheide ich mich heute für die guten alten Meatball Spaghetti mit Knoblauchbrot.

23.07. - Das Feld der Träume und der RAGBRAI

Heute steht die Überquerung des Mississippi River’s auf dem Programm. Dabei muss ich immerzu an Tom Sawyer und seinen Freund Huckleberry Finn denken, deren Abenteuer an eben diesem Fluss spielen. Was haben wir die Geschichten als Kinder geliebt! Ich informiere mich noch kurz bei Wikipedia und erfahre dabei, dass der Mississippi zusammen mit seinem Nebenfluss Missouri das viertgrösste Flusssystem der Erde bildet. Ausserdem durchfliesst er von Norden nach Süden beinahe das ganze Staatsgebiet der USA und sein Delta bei New Orleans bildet eines der grössten Mündungsgebiete der Welt. Ich bin beeindruckt und freue mich auf das Erlebnis. Doch zuerst schau ich wieder mal bei Walmart vorbei, um mir Wasser, Banane & Co. zu besorgen. Beim Umfüllen des Wassers vor dem Einkaufszentrum in meine 1.5-Liter-Pet-Flasche gesellt sich eine interessierte ältere Frau zu mir. Jen, so heisst die nette Dame, möchte gerne ein Foto von mir und dem Velo machen. Sie fragt, ob ich auch am RAGBRAI mitmachen würde. Ich habe natürlich keinen blassen Schimmer, wovon die gute Frau spricht. Sie erklärt mir, dass es sich um eine jährlich stattfindende Velotour durch den Staat Iowa handelt. Anscheinend ist es das älteste (42 Jahre), längste (durchschnittlich 470 Meilen) und grösste (8‘500 Teilnehmer plus 1‘500, die tageweise mitreisen) Velotouren-Event der Welt. Jedes Jahr gibt es eine andere Route. Leider radeln die von Westen nach Osten – falsche Richtung für mich. Die Strecke würde sich bei Independence jedoch mit meiner in drei Tagen kreuzen. Jen arbeitet hier in der Gegend, wohnt aber in Dyersville, Iowa, was etwa 70 km von Galena entfernt liegt. Da der Ort auf meiner Route liegt, empfiehlt sie mir voller Enthusiasmus, an der Film-Location von Field of Dreams vorbeizufahren, die etwas ausserhalb des Orts liegt. Ich mag mich schwach daran erinnern, dass der Streifen etwas mit Baseball zu tun hat und Kevin Costner darin mitspielt. Für mich nicht unbedingt eine explosive Kombi, aber der Film war 1990 immerhin für drei Oscars nominiert. Ich beschliesse kurzer-hand, den Abstecher zu machen. Nach etwas mehr als 30 km erwarten mich aber erstmal die Flussüberfahrt und zugleich der Übertritt von Illinois nach Iowa. Der Highway 20, auf dem oder dem entlang ich mich seit Tagen bewege, führt über die Julien Dubuque-Brücke direkt über den Mississippi River. Dieser Highway ist übrigens die längste Strasse der USA und eine West-Ost-Hauptverkehrsstrasse des Landes. Wobei man sich das nicht als eine riesig grosse Autobahn vorstellen kann, die quer durch Amerika führt. Je nach Streckenabschnitt hat der Highway nur gerade zwei schmale Spuren und ist relativ schwach befahren. Nur um nach ein paar Kilometern, meist wenn eine grosse Autostrasse oder –bahn gekreuzt wurde, zu einer stark frequentierten Autobahn zu werden. Ich bin immer wieder überrascht, wie schnell das ändern kann. Zurück zu meiner Brücke. Die ist nämlich seit Montag wegen Reparaturarbeiten geschlossen – na toll. Bis jetzt haben mich die 'Road closed'-Schilder jeweils nicht gross gekümmert, aber das waren ländliche Baustellen, kleinere. Eine Umfahrung über die Dubuque-Wisconsin–Brücke ist ausgeschildert. Die liegt rund 8 km nördlicher und heisst für mich mindestens 15 km zusätzliches Strampeln und ein Staat mehr auf meiner Tour. Aber da ist wohl nichts zu machen, denke ich, für einmal muss ich in den sauren Apfel beissen. Nur ein paar hundert Meter auf meinem Umweg ruft ein Autofahrer aus seinem SUV: „Are you trying to get to Iowa?“ Ich nicke und er meint: „The pedestrian way should be open as far as I know. I go to work by bike every day.“ Da ich in den letzten vier Wochen nur selten Fussgänger gesehen habe, ist mir diese Alterna-tive gar nicht in den Sinn gekommen. Ich bin dem lieben Mann unendlich dankbar, was ich ihm mit meinem nach oben zeigenden Daumen zu verstehen gebe. Und tatsächlich erspart er mir an dem heutigen Tag viel Anstrengung und Schweiss. Das erste Stück in Iowa geht in etwa gleich weiter wie es in Illinois aufgehört hat – rauf und runter. Kurz vor 15.30 komme ich beim Feld der Träume an. Ich lese interessiert die Informationen an den Stellwänden, mache ein paar Fotos und nehme mir fest vor, mir den Film in den nächsten Tagen mal zu Gemüte zu führen. Gerade als ich aufbrechen will, um die letzten 35 km in Angriff zu nehmen, fährt ein anderer Tourenfahrer neben mir auf den Platz. Travis, 33 Jahre und Autoverkäufer, will in rund zwei Wochen von Indiana nach Minnesota fahren. Sein Velo hat er für 30 USD gekauft und so sieht es auch aus. Aber bis jetzt hat er ausser ein paar kaputten Speichen keine Probleme gehabt. Er hat nebst einem Zelt fast kein Gepäck dabei, worum ich ihn durchaus beneide. Wir reden über die gestrige Hitze und ich bin froh zu hören, dass ich nicht die einzige bin, die gelitten hat. Er hat sich in drei Flüssen über den Tag hinweg Abkühlung gesucht. Mein neuer Velokollege rät mir, mich bei warmshowers.org zu registrieren. Das ist eine Plattform speziell für Radtouristen, die auf ihrer Reise einen kostenlosen Platz zum schlafen suchen. Den Tipp nehm ich dankend an und werde mich sicherlich registrieren. Wie oft ich die Möglichkeit      tatsächlich nutzen werde, weiss ich noch nicht. Ganz ehrlich gesagt bin ich abends jeweils meist recht zufrieden in meinen Motels und habe auch nicht oft das Bedürfnis nach langen Gesprächen mit Fremden. Die Unterhaltungen drehen sich sowieso grösstenteils nur um das eine Thema - verständlicherweise. Aber davon hab ich tagsüber jeweils schon genug an Tankstellen, in Einkaufszentren und Restaurants. Kurz darauf gesellen sich noch Carla und ihre Freundin zu uns. Die beiden Frauen, wohl in ihren 50ern, in der Nationaltracht Shorts & Oakley-Sonnen-brille, sind mit dem Camping-Wagen von Florida nach Idaho unterwegs. Carla hat anscheinend ihr Haus verkauft und bereist nun die USA wie es ihr gerade gefällt. Eine spannende Vorstellung und ich bewundere die Frauen für ihren Mut. Ich muss mich leider irgendwann verabschieden, denn es ist schon kurz vor 17.00. Jetzt wo die Temperatur langsam sinkt und die Sonne mich mit einer wohligen Wärme anstrahlt, bin ich rundum zufrieden mit dem Tag. Ich lege einen Dinner-Stopp bei Burger King 800 Meter vor meinem Motel ein, da es weiter draussen nur noch einen Pizza-Schuppen gibt. Mein Navi sagt mir, dass ich heute 105 km und über 900 Höhenmeter zurückgelegt habe. Irgendwie fühlt es sich gar nicht so an und ich wage zu hoffen, dass sich das 'Training' langsam bemerkbar macht.

24.07. - Frühstück, Waschmaschinen und mehr RAGBRAI

Ich beginne meinen Tag einmal mehr mit dem 'Complementary Breakfast' meines Motels in Manchester. Es gibt zwei Dinge, die ich an den 2- bis 3-Sterne-Motels, in denen ich während meiner Tour vorwiegend übernachte, schätzen gelernt habe. Das eine ist das Frühstück. Es gibt immer irgendwo einen Raum, wo es eine Auswahl an verschiedenen Leckereien gibt. Die scheint aber in allen Unterkünften mehr oder weniger gleich zu sein. Nebst Kaffee und einem Orangen-Apfelsaft-Kombigetränkeautomat, gibts   Toast, Bagels, Muffins, Frosties Cornflakes,   eine Waffel- oder Pancake-Maschine sowie viel Plastikgeschirr. Ab und zu verirren sich auch schon mal ein paar Bananen oder Äpfel zwischen die Kartonbecher. Und wenn man Glück hat, gibt es Tageslicht beim Frühstück. Ein Fernseher läuft immer. Aber da ich Frosties über alles liebe, ist mir der Rest sowieso meist gleichgültig. Das zweite Schätzenswerte sind die Waschmaschinen und Tumbler, um meine ver-schwitzten Velosachen und die bequemen Pluder-Wohlfühl-Hosen regel-mässig zu waschen. Da gibt es jeweils einen Waschraum, der übrigens nie Tageslicht hat, wo man meist schon für 75 Cents eine Wäsche in nur 30 Minuten erledigen kann. Das Waschmittel gibts für das selbe Geld aus dem Automaten gleich daneben. Da ich mit, für meine Verhältnisse, relativ wenig (ohne Scheiss jetzt!) Kleidung reise, bin ich jeweils sehr dankbar für diese unkomplizierte Waschmöglichkeit. Eins muss ich hier noch präzisieren: Das Frühstück und die Waschmaschine gibts ausschliesslich bei den grossen Ketten wie Best Western, Holiday Inn oder Super 8. Bei den privat geführten Wohlfühloasen muss man froh  sein, wenns ein frisches, flecken- und lochfreies Handtuch sowie eine neue Seife im Bad hat. Das war letzte Nacht zum Glück der Fall :) Heute gehts weiter nach Cedar Falls, rund 85 km von meinem Ausgangsort entfernt. Ich hatte gestern Abend die grösste Mühe, online ein Hotel-zimmer in dem Ort zu finden. Das obwohl es etwa zehn verschiedene Unterkünfte gibt. Schlussendlich musste ich im Hilton Garden Inn buchen, was natürlich der teuerste Schuppen im Ort und auch auf meiner bisherigen Reise ist. Und das gleich noch für zwei Nächte, da ich nach fünf Tagen wieder einen Ruhetag einlege. Aber ich bin froh, hab ich überhaupt noch ein Zimmer gefunden. Mir kam kurz der Gedanke, dass es vielleicht mit dem RAGBRAI (The Register's Annual Great Bike Ride Across Iowa) zu tun hat, den ich gestern kurz erwähnte. 'The Register' ist übrigens eine Zeitung. Als ich beim Frühstück dann den Morgen-nachrichten entnehme, dass der 8'500+ schwere Tross heute Abend in Waverly, rund 25 km nördlich von meinem Übernachtungsort, Halt macht, scheint sich meine Vermutung zu bestätigen. Auch die lokale Zeitung 'The Gazette' schreibt darüber, denn morgen wird der RAGBRAI in Independence halt machen, das etwa 30 km von Manchester entfernt liegt. Der Event ist in aller Munde. Auch weil tragischerweise ein Mann an einer Herzattacke auf dem Velo verstorben ist. Traurig aber wahr. Da mich meine Route heute auch durch Independence führt, bin ich gespannt, was mich dort erwartet. Ich fahre Punkt Zwölf in dem Städtchen ein und gerade eben hat mich noch ein Truck mit zwölf ToiToi-Klos beladen überholt. Für das Wichtigste scheint jedenfalls gesorgt. Überall hängen Poster und Schilder in oder vor den Läden, die die Velofahrer morgen   willkommen heissen sollen. Auch der örtliche Burger King und Subway lassen sich das begrüssen der potenziellen und sicher hungrigen Kund-schaft vor dem Restaurant nicht nehmen. Ich frag mich nur, wie die 5'900 Einwohner grosse Stadt die rund 10'000 Biker plus Betreuer plus Organisations- und Volunteer-Team unterbringen kann. Aber die werden sich das schon überlegt haben, denk ich mir. Also weiter des Weges. Um etwa 16.00 komme ich in Cedar Falls an, wo ich schon beim betreten der Lobby sehe, dass ich nicht die erste und einzige Radfahrerin bin. Schon wenige Minuten nach mir fährt draussen ein umgekrempelter Schoolbus vor, der sicherlich 15 bis 20 Velos auf dem Dach festgemacht hat. Aussteigen tun ein paar drahtige Männlein mit kahlrasierten und braun-gebrannten Beinen. Erinnert mich daran, dass ich auch wiedermal... aber lassen wir das. Bis eben hatte ich das Gefühl, dass die Teilnehmer des Bike Rides vor allem in Zelten, billigen Motels und auf Sofas von Freiwilligen schlafen würden. So kenn ich das noch vom Gigathlon 2008 oder 2009 in der Ostschweiz, wo ich die Fahr- und Betreuungs-Mannschaft für ein Team war. Aber dass die sich hier 25 km mit einem Team-Bus zum Hilton Garden Inn chauffieren lassen, ihre grossen   Samsonite-Koffer auspacken und sich später an der Bar treffen? Als ich beim Nachtessen in der Lobby sitze, seh ich die 'Athleten' fast im Viertelstundentakt ankommen. Die Receptionistin hat mir vorher noch    verraten, dass heute fast 70% ihrer Gäste aus dem Event stammen. Und ich weiss ja, dass alle anderen Hotels ausgebucht waren in der Gegend. Aber da es inzwischen angefangen hat zu regnen, habe ich für jeden Verständnis, der nicht à la St. Galler (oder Frauenfeld?) Openair im Schlamm nächtigen will. Ich denke an meine 'Velobekanntschaften' Valentin und Travis, die da draussen vielleicht irgendwo im Zelt übernachten werden... Dann pack ich meinen Laptop, geh auf mein gemütliches Zimmer gleich um die Ecke und fange auf dem weichen Bett diesen Bericht an zu schreiben. Das Radlerleben kann so schön sein!

25.07. - Is this Heaven? It's Iowa!

Als ich heute Morgen aufwache regnet es in Strömen. Bin ich froh, ist heute mein 'freier' Tag. Um 10.00 hab ich mit Sara und Simi zum Skypen abgemacht. Mit den sieben Stunden Zeitunterschied geht es nicht ganz ohne Planung. Es tut gut wiedermal mit 'zu Hause' zu telefonieren. Danach geht es mit dem Fahrrad nach Cedar Falls. Das heisst 7 km vom Hotel Richtung Norden, dem schönen Cedar Valley Nature Trail entlang. Ich fahre zuerst bei der University of Northern Iowa vorbei. Cedar Falls ist die Nr. 22 auf der Liste der 50 Great Affordable College Towns. Ich frag mich, was das über die Qualität der Uni selbst aussagt - nichts? Dann gehts weiter nach Downtown. Es ist eine kurze Strasse mit Cafés, kleinen Restaurants und verschiedenen Shops. Bis jetzt etwas vom Schöneren, das ich gesehen habe was sich 'Historic Downtown' nennt. Nach einem feinen Erdbeer-Glacé aus der lokalen Töpferei 'Pursuing Picasso' mach ich mich auf den Rückweg. Denn heute ist auch Waschtag für mich :) Im Hotel angekommen erhalte ich eine SMS von Valentin. Er hat gestern schon angekündigt, dass er Mount Rushmore und Yellowstone nun auch auf seiner Radler-To-Do-Liste hat und in meine Richtung unterwegs ist. Wir treffen uns um 17.00 vor Target, der nur ein paar hundert Meter vom Garden Inn entfernt ist. Ich freue mich sehr, ihn wieder zu sehen und wir haben uns gleich viel zu erzählen. Wir setzen uns in den A&W All American Food über die Strasse und bestellen das einzige, was es dort gibt: Burgers und Fries. Auf das Root Beer, wofür die Fast-Food-Kette eigentlich bekannt ist, lass ich aus. Ich werd mit dem Gesöff einfach nicht warm. Die Restaurantkette soll die älteste US-Franchise-Handelskette in der Systemgastronomie sein. Was ich sofort glaube. Hier siehts nicht nur aus, als wäre noch 1922 - das Fritieröl riecht auch entsprechend. Egal, es gibt wieder viel zu lachen und auszutauschen. Schlussendlich biete ich Valentin an, dass er in meinem Hotelzimmer übernachten kann. Da er mir schon bei unserem ersten Treffen zur Genüge von seinem Ex-Freund erzählt hat, wird er dieses Angebot richtig einzuschätzen wissen. Morgen werden wir zusammen Richtung Webster City aufbrechen. Wie lange wir gemeinsam radeln, wird sich zeigen. Er ist doch etwas flotter unterwegs und ich will mich nicht stressen lassen. Heute Abend komme ich endlich auch dazu, mir Field of Dreams anzusehen. Kevin Costner hat ja mal richtig gut ausgesehen! Der Film selber ist für meinen Geschmack etwas gar 'amerikanisch' - viel Baseball, einiges an Idealismus und eine gehörige Portion 'live your dream' oder zumindest 'listen to your heart'. Der Streifen gefällt mir wohl vor allem, weil ich vor ein paar Tagen selbst auf dem besagten Feld gestanden habe. Meine Lieblingsstelle ist der Moment zwischen Ray Liotta und Kevin Costner, als sie sich zum ersten Mal auf dem Baseball-Feld in Mitten der Maisfelder treffen. Liotta, der tote Baseball-Spieler, fragt Costner, den Maisfarmer: "Is this heaven?" Darauf Costner: "It's Iowa." Das wäre doch mal eine Tagline, die das regionale Tourismusbüro für sich nutzen sollte.

26.07. - 121 km in 07:15, Flussüberquerung exklusiv

Abfahrt ist für 09.00 geplant und so ist es dann auch. Der kurze obligate Stop an der Tankstelle um die Ecke. Ich kaufe mir nebst Nektarine, Apfel und Rüebli eine Dose Chicken für das Mittagessen. Das ist ein Tipp von Valentin, der sich im Moment vorwiegend von Tuna und Chicken aus der   Dose ernährt, dazu gibts jeweils Weizen-Tortillas oder Hot-Dog-Buns. Ich probiers in dem Fall auch mal aus. Man ist ja offen für Neues. Als ich beim Mittagessen am Strassenrand die offene Dose vor mir habe denke ich nur, dass das Huhn irgendwie nach Katzenfutter riecht und eigentlich auch so aussieht. Valentin meint auch, dass sein Chicken jeweils anders aussähe. Er zeigt mir seine   Konserve. Erst jetzt realisiere ich, dass das 'Chicken of the Sea', wie es auf meinem Label heisst, eigentlich Thunfisch ist. Alles klar... Meine Finger stinken noch Stunden später nach Katzenfutter respektive modrigen Sardinen. Es ist wieder mal ein schwüler Tag mit fast 80% Luftfeuchtigkeit. Bewölkung wechselt sich mit strahlendem Sonnenschein ab. Wir verbringen von den 121 km sicherlich 50 auf Schotterstrassen, die mal besser mal weniger gut befahrbar sind. Ich bin mir das von den letzten Tagen gewöhnt, für Valentin ist es das erste Mal. Jedoch kommen wir trotzdem gut voran, da es fast keinen Wind hat und es 'relativ' flach ist. Die grösste Herausforderung ist heute eine riesige Bau-stelle, die sich nicht wie üblich einfach umgehen lässt. Der einzige Weg, um eine Umfahrung zu vermeiden, ist, die Räder eine Böschung hinunter zu heben, durch einen breiten Bach zu stossen und auf der anderen Seite wieder den Hang hinauf zu schieben, respektive zu ziehen. Alleine würde ich dies nich schaffen und ich bin dankbar, bin ich nicht alleine unterwegs. Super Timing, würde ich sagen. Das ganze Unterfangen kostet uns rund eine halbe Stunde, aber es ist jede Minute wert. Wir waten barfuss durch den kühlen Bach, waschen uns den Schweiss von den Beinen, Armen und Gesicht und machen uns abgekühlt weiter auf den Weg Richtung Webster City. Es ist ca. 16.00 und wir haben rund 90 km geschafft. Kurz nach 18.00 kommen wir bei meinem Motel an. Ich hatte grossen Respekt vor dem heutigen Tag. Die Strecke von 121 km ist die bisher längste, die ich in den letzten Wochen gemacht habe und die Strassenzustände sowie Wetter- und Windverhältnisse sind für mich manchmal schwierig abzuschätzen. Es war einfacher als gedacht, wobei die unterhaltsame Begleitung von Valentin die Zeit sicherlich verkürzt hat. Zum Abschluss des Tages lädt er mich zum All-you-can-eat-Buffet beim lokalen Chinesen ein. Ich offeriere ihm meine Dusche, aber schlafen wird er heute wieder im Zelt in einem nahegelegenen Park. Wir sind uns einig, dass wir uns sicherlich in den kommenden Tagen irgendwo treffen werden. Aber es ist auch klar, dass jeder von uns seine eigene Reise macht. So viel Spass wir heute hatten - ich freue mich, die nächsten Tage wieder alleine unterwegs zu sein. Iowa-Video I / Iowa-Video II

27.07. - Vom Winde verweht

Ich habs geahnt, als wir gestern kurz vor Webster City die grossen Windräder gesehen haben: Es könnte heute etwas anstrengend werden. Offenbar gewinnt Iowa über 27% seines Storms aus Windenenergie. Die meisten Anlagen sind im Nordwesten zu finden, da es in dieser Region am meisten und stärksten windet. Das wäre dann dort wo ich jetzt grad bin. Es wird fühlbar, dass die Great Plains näherrücken. Heute weht der Wind aus Nordwesten, mit rund 45 km/h. Ich weiss, nicht grad ein Orkan, aber auf 100 km Strecke ganz schön ermüdend. Anfangs schickt mich das GPS wieder auf eine Schotterstrasse, die ich so schnell wie möglich wieder Richtung Highway 20 verlasse. Keine Chance, dass ich es auf diesen Wegen mit dem konstanten Seitenwind bis Sac City heute schaffe. Der Highway ist hier eher eine Autostrasse, aber glücklicher-weise heute Sonntag wenig befahren. Nach 2.5 Stunden und nur 30 km verlass ich die Autostrasse wieder, frustriert, um etwas zu essen. Den Picknick-Lunch nehm ich im Stehen gleich am Ende der Ausfahrt zu mir. Es gibt weit und breit nichts, wo ich mich irgendwie geschützt hinsetzen könnte. Überall Strassengräben. Naja, was solls. Ich bin hungrig und kann nicht auf den idyllischen Picknick-Platz warten - das könnte noch ein paar hundert Kilometer gehen. Die verwunderten Blicke der vorbeifahrenden Auto- und RV-Fahrer nehm ich wie gelassen wahr. Als Velofahrer(in) ist man hier draussen so oder so ein Paradiesvogel. Weiter gehts auf dem alten Highway 20, der parallel und nur zweispurig zur neuen Strasse verläuft. Inzwischen habe ich meine Velojacke angezogen, denn die Sonne versteckt sich seit längerem hinter dichten Wolken und ich friere das erste Mal seit Ohio. Die Fahrt ist einfach nur anstrengend und ich schalte im 5 Sekundentakt die Gänge rauf und wieder runter. Alles schimpfen, flehen und betteln hilft nichts: Der Wind weht unbeeindruckt weiter. Also versuch ich es irgendwann mit laut singen. So richtig laut, mein ich. Wo sonst kann ich das, ohne dass mir jemand zuhört? Von Whitney Houston's Olympia-Song "One moment in time" (fragt mich nicht wieso) über Scott McKenzie's "San Francisco" bis Nella Martinetti's "Bella Musica" (auch hier - keine Ahnung wieso) ist für jeden etwas dabei. Meist ist es jedoch 'lalala' oder 'bababa', da mir die Texte ohne Vorlage leider nicht im Detail geläufig sind. Valentin hat mir gestern anvertraut, dass er ab und zu auf dem Fahrrad selbergedichtete Lieder vor sich hinsingt. Das inspiriert mich wohl. Wehmütig denke ich ans 'Lauschulis' in Zürich. Kurz vor 18.00 komme ich in Sac City an und meld mich an der Reception des einzigen Motels. Ich habe keine Reservation, wie so oft in diesen kleinen Käffern. An solchen Orten war es bis jetzt noch nie ein Problem, ein Zimmer zu bekommen. Die Touristen und Trucker rennen den Betreibern in diesen abgelegenen Dörfchen nicht grad die Türen ein - mein Glück. Für das Nachtessen gibt es nur ein Steak House in Downtown, das um 20.00 schliesst. Das heisst ich muss mich wieder aufs Velo schwingen und den Hang runter ins Dorf fahren. In solchen Momenten wünsch ich mir jeweils irgendeinen Fast-Food-Laden, der wenigsten in Gehdistanz nicht weiter als über die Strasse liegt. Denn diese kurzen Fahrten abends sind jene, die mich mein Hinterteil am meisten spühren lassen.

28.07. - Regel Nr. 1: Kaufe niemals einen Brooks-Ledersattel!

Heute steht eine weitere lange Etappe auf dem Programm: 120 km von Sac City bis Sioux City. Mein letzter Stop, bevor ich den Missouri River nach Nebraska überquere und somit in die Great Plains komme. Einen kleinen Teil dieses landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebiets werde ich bis zu den Rocky Mountains durchfahren. Die Great Plains gelten als Kornkammer des Landes, die rund die Hälfte des Wei-zens der USA produzieren. Auch in der Viehzucht tragen die Plains einen beachtlichen Teil zur Rindfleischproduktion bei - etwa 60%. Das sind unglaubliche Zahlen, aber das Gebiet erstreckt sich auch von Kanda bis fast nach Mexiko. Die Entwicklung dieser 'Grossen Ebene' geht je nach Region in verschiedene Richtungen. Zunehmende Dürre in den letzten Jahrzehnten lässt gewisse Gebiete wieder zu Grasland werden, wobei der Norden immer wie intensiver genutzt wird. Ich bin sehr gespannt, welche Eindrücke der Wilde Westen bei mir hinterlassen wird. Bis heute war ich etwas besorgt, dass ich auf dieser kommenden Etappe Probleme haben könnte mit der Wasserversorgung. Zum Glück habe ich Nick getroffen, der mich diesbezüglich beruhigt hat. Etwa 30 km vor Sioux City seh ich auf der gegenüberliegenden Strassenseite einen Rennvelofahrer mit leuchtend pinkem T-Shirt. Zuerst denke ich, es ist ein Tagesausflügler. Er trägt nur einen Rucksack und erst als er auf meiner Höhe ist, seh ich ein   kleines Päckchen, das an seinem Sattel befestigt ist. Ich halte abrupt, denn ich bin grad in einer Abfahrt, und frage über den Highway 20 hinweg, wohin er unterwegs ist. Die Trucks und Autos machen es unmöglich, auch nur ein Wort zu verstehen. Kurzerhand renne ich mit meinem Velo auf die andere Strassenseite. Nick, Notfallarzt aus Ohio, ist auf dem Weg von Portland nach New York. Nur, dass er ein Carbon-Rennvelo hat und sein Gepäck aus einem 8 Pfund-schweren Rucksack plus Zelt und Schlafsack besteht. Ich kanns kaum glauben, mit wie wenig die Leute teilweise unterwegs sind! Er fragt mich, ob ich einen 'Cause' habe für meine Reise. Es scheint, dass dies hier sehr verbreitet ist, so oft wie mich die Leute darauf ansprechen. Zum Glück hab ich einen, denk ich mir manchmal. Sonst könnte man noch meinen, ich sei eine vergnügungssüchtige Egoistin mit masochistischen Tendenzen. Ich erzähle ihm kurz von meiner Tixi-Aktion. Nick hat auch einen 'Cause': Er sammelt für einen Memorial Fund, den er in Andenken an seine Verlobte Eva Marie gegründet hat. Sie ist letztes Jahr ganz unerwartet auf Grund eines Herzversagens gestorben, innerhalb einer halben Stunde. Er gibt mir seine Webseite an, damit ich mehr über sein Vorhaben erfahren kann. Ausserdem decken sich Teile seiner Route, wie Grand Teton und Yellowstone Nationalparks, mit meinen Plänen. Entsprechend kann er meine Bedenken betreffend Wasserversorgung gut zerstreuen und gibt mir für den Fall der Fälle noch ein paar seiner Iodinetabletten. Als er meinen Brooks-Sattel sieht fragt er mich interessiert, wie es damit denn so gehe. "Biggest mistake ever", ist alles, was ich dazu sage. Er lacht nur und nickt verständnivoll. Ich sehe später, dass er auf seiner Webseite eine Skala für 'Butt Pain' hat. Muss ich mir auch mal über-legen - wobei es wohl eine langweilige Geschichte wäre, da meine Wertung nie unter 9.5 fallen würde. An dieser Stelle möchte ich allen zukünftigen Tourenfahrern einen wirklich gutgemeintne Rat geben: Kauft nie, unter gar keinen Umständen, einen Brooks-Ledersattel! Auch nicht wenn eure besten Freunde darauf schwören und der Verkäufer im Veloladen euch den wärmstens empfiehlt. Die lügen euch brandschwarz an! Der     Freund, weil er 200 Stutz für den stahlharten Sattel bezahlt hat und nicht zugeben kann, dass das Ding nie so weich wurde, dass es sich, wie vom Verkäufer angepriesen, 'anatomisch' angepasst hat. Mir wurde das auch versichert: "Er braucht ein paar hundert Kilometer, bis es soweit ist. Aber danach..." Ich sitze jetzt seit über 2'000 km auf dem Teil und glaubt mir: Es ist so hart wie am ersten Tag! Und es soll mir jetzt Keiner kommen mit 'in Wasser einlegen' etc. Der Sattel war vor meiner Abreise tagelang im Regen und gebracht hat es nix, null, zero. Und dass der Verkäufer euch den Brooks andrehen will ist selbstredend: Einen teureren Sattel gibts im Angebot nämlich nicht. Ich habe auf meiner Reise zwei Leidensgenossen getroffen, die dies bestätigen würden: Valentin, der Franzose, und Gabe, der Yale-Professor, den ich an meinem dritten Tag in Pennsylvania mit seinem Kollegen getroffen haben. Ich bin nun soweit, dass ich morgen bei Albrecht's Bicycle Shop in Sioux City Downtown vorbei gehe und mich nach einem neuen Sattel umsehe. Kein Witz - Nick hat mich überzeugt. Ich hab immerhin noch um die 3'000 km zu fahren... Noch etwas zu meinen kulinarischen Höhenflügen heute. Zum Frühstück gabs den grössten Pancake, den ich in meinem Leben je vorgesetzt bekommen habe. Er hatte die grösse einer Pizza im 'Il Golosone' und war, aus der Reaktion der Servierdüse zu schliessen, wohl nicht so vorgesehen. Sie sagte nur entschuldigend: "She (die Köchin) went a little bit overboard..." Da der Pancake eigentlich nur für den 'Gluscht' war, zusätzlich zum Omlette und Toast, hab ich mich dann auch nicht verpflichtet gefühlt, den Riesenfladen aufzuessen. Beim Mittag-essen könnte man fast sagen, hab ich mich selber übertroffen. Inspi-riert von Valentin, einmal mehr, hab ich mir ein 10er-Pack Weizen-tortillas und Huhn in der Dose gekauft (diesmal richtiges Chicken). Zur Aufwertung des Ganzen, nicht dass dies notwendig gewesen wäre, hab ich mir noch eine Schale Cole Slaw besorgt. Ich muss gestehen, die Kombination schmeckte gar nicht so schlecht. Vielleicht passe ich mich langsam den lokalen Gebräuchen und Sitten an... Unter der Rubrik 'Impressionen: Illinois-Nebraska' findet ihr das Ganze eindrücklich   dokumentiert.

29.07. - Nebraska: Wo mein Netzempfang endet

Heute werde ich über den Missouri River nach Nebraska fahren. Der Staat warb mal mit dem Slogan 'Wo der Westen beginnt'. Für mich bedeutet das 'Wo der Netzempfang endet'. Ich hatte schon die letzten Tage in Iowa immer wieder Empfangsschwierigkeiten. Jetzt wird die Abdeckung von AT&T aber   richtig miserabel werden - sprich 'Kein Netz'. Das heisst die spontane Nutzung von Google-Maps auf der Strecke fällt weg. Nichts mehr mit schauen, wie weit die nächste Tankstelle weg ist. Oder wie heute morgen mich zu Albrecht's Bicycle Shop in Sioux City navigieren lassen. Dort will ich mir nämlich meinen neuen, beque-men Velosattel kaufen. Der Brooks muss weg. Glücklicherweise haben die Jungs ein Modell, das passt und mit USD 44.90 ein Viertel des Preises meines Brooks kostet. Danach fahre ich eine paar Blocks weiter in die Stadt, um bei der Post den Sattel plus meine beiden vorderen Ortlieb-Fahrradtaschen nach New York zu senden. Ich kann inzwischen alles in die hinteren Taschen stopfen und Nutze die Gelegenheit, um mich von weiterem Gewicht zu trennen. Aida wird sich freuen: Sie muss inzwischen einen halben Schrank mit meinen Sachen gefüllt haben... Die dürfen Sara und Dani dann im September, zusammen mit meinem Fahrrad, von San Francisco wieder in die Schweiz schleppen. Danke Mädels - und Dani :) Nach einem kurzen Stop in einem Walmart für mein Mittagessen gehts wieder richtig los. Die ersten 15 km sind einfach unglaublich. Ich habe das Gefühl ich fliege über den Asphalt! Kein Wind, fast flach. Und die Temperaturen, wie immer in den letzten Tagen, unterdurchschnittlich für den Sommer hier. Perfekt für mich. Und dann lass ich mich wieder von meinem GPS auf eine Schotterstrasse leiten... Ich hätte es wissen müssen: Seit Iowa ist alles, was auf meiner Rand McNally-Karte nicht eingezeichnet ist mit 99.9%-iger Sicherheit eine Schotterstrasse. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass die Strassen so sandig und mit so vielen steilen Hügeln versehen sind. Die nächsten 15 km sind eine Tortur und ich muss zweimal vom Rad steigen, weil ich die steilen Hill Tops einfach nicht schaffe. Ich muss gestehen, dass ich aus lauter Frust und Anstrengung hart gegen die Tränen kämpfen muss... Und jedes Mal wenn ich oben angelangt bin, seh ich in der Ferne schon wieder den nächsten Hügelkamm auf mich warten. Neuer Vorsatz ab sofort: Keine Strassen mehr, die nicht auf der Rand McNally-Karte eingezeichnet sind. Aber was ich sagen muss: Es ist atemberaubend schön hier draussen!   Mais- und Sojafelder, die sich kilometerweit über Hügelkuppen zu ziehen scheinen. Vereinzelte Rinderherden, die auf riesigen Graskoppeln mit kleinen Seen weiden. Das Amerika, das ich hier, und auch schon auf den 2'000 km zuvor, zu sehen bekomme, ist Universen von New York, San Francisco & Co. entfernt. Ich bin jeden Tag immer wieder aufs Neue beeindruckt, was ich um mich herum sehe. Das Erlebnis auf dem Fahrradd ist einfach einmalig. Dass die Leute so offen und interssiert auf mich zukommen, wenn ich an einer Tankstelle oder vor einem Supermarkt stehe - würde niemals passieren, wenn ich mit dem Auto unterwegs wär. Ich   erlebe die Natur und meine Umgebung so unmmittelbar und intensiv - das wäre in einem AC-gekühlten Wagen auf der Interstate sicherlich anders. Ich bin wirklich jeden Tag so dankbar für diese Erfahrung. Egal wie sehr mein Hinterteil am Abend jeweils schmerzt :) Oder wie muffig das Motel wieder sein mag. Wie heute in Randolph, das Cedar Motel. Die 'Reception' ist zugleich das Wohn- und Esszimmer der Betreiber. Wobei alles so zugestellt ist, dass ich das Gefühl habe, hier hausen zwei 'Messies', oder 'Hoarders' wie man hier sagt. Maggy, die Besitze-rin, findet nicht mal einen schreibfähigen Kugelschreiber in dem ganzen Durcheinander. Sowas hab ich bis jetzt nur im Fernsehen auf RTL gese-hen. Ich befürchte das Schlimmste für mein Zimmer und bin etwas beruhigt, als Maggy von einer Putzfrau zu erzählen beginnt. Aber: Ich hab ein Dach über dem Kopf für die Nacht, ein annehmbares Bett, eine Dusche mit warmem Wasser und funktionierendes WiFi. Und für den    Teppich habe ich einmal mehr meine FlipFlops.

30.07. - 1A-Windverhältnisse und freudiges Wiedersehen

Ich verabschiede mich vom Messie-Motel in Randolph ziemlich früh. Ich möchte es nach O'Neill schaffen, das 113 km weiter nord-östlich liegt. Mein ursprünglicher Plan, den ich mir zu Hause auf dem Sofa zurecht-gelegt habe, war eine 75 km Strecke bis Orchard. Damals ging ich davon aus, dass der Wind viel stärker blasen würde. Jetzt, da die momentane Situation sich anders präsentiert, will ich dies ausnützen. Das Frühstück, ein Greek Yoghurt, eine Nektarine und Apple Bites (mundgerechtes Apfel-Blätterteig-Gebäck mit viel weissem Icing), hab ich mir bereits gestern im lokalen Supermarkt gekauft. Gerne hät ich noch eine Banane für den Weg draufgepackt, aber die Chiquitas waren alle grasgrün - nicht ein Tupfer gelb. Also hab ich mir stattdessen in der Salatsektion eines riesigen Kühlers etwas für den Lunch gesucht. War gar nicht so einfach, da sicherlich die Hälfte der Salate ein Ablaufdatum vom 25. Juli aufgeklebt hatte. Zur Erinnerung: Gestern war der 29.! Hier scheint die Zeitrechnung etwas anders zu laufen. Oder man nimmt es einfach nicht so genau mit den Vorschriften des Gesundheitsamtes? Kommt ja eh nie einer von denen hier draussen vorbei... Ich hab mich dann für einen Gemüse-Salat entschieden, der, angeblich, bis zum 1. August haltbar ist. Also mach ich mich um 08.45 auf den Weg. Diese Stunden am Morgen sind mitunter die schönsten: Es ist ruhig auf der Strasse und die Temperatur ist an-genehm kühl. Nach rund einer Stunde sehe ich, ca. 200 Meter vor mir,   auf der Shoulder etwas, das wie ein anderer Radfahrer aussieht. Da ich seit Wochen keine Kontaktlinsen mehr trage, trete ich kräftig in die Pedale, um zu sehen, wer oder was sich hier auf dem Highway 20 Richtung Osten bewegt. Je näher ich komme umso sicherer bin ich mir: Es ist Valentin! Er hat mich am Tag zuvor noch kurz von einem anderen Handy angerufen, weil er auch keinen Empfang auf seinem AT&T Prepaid hat. Mein französischer Radkumpan wollte wissen, welche Route ich nun nehme. Hier draussen gibt es ehrlich gesagt fast keine Alternativen zum Highway 20. Und so treffen wir uns heute wieder. Wir freuen uns beide wie kleine Kinder und es gibt schon wieder viel auszutauschen. Toll ist auch, mal jemanden zu haben, der ein paar Fotos von einem auf dem Rad schiessen kann. Selfies sind eben doch nicht ganz das Selbe. Wir kommen super gut voran, da es praktisch windstill ist. Beide sind wir uns be-wusst, dass dies hier nicht die Norm ist. Das bestätigt uns auch Ed von der John Deere Verkaufsstelle und Reparaturwerkstätte kurz vor Royal. Für alle jene, die auf landwirtschaftlichen Themen nicht so versiert sind: Die Marke gehört zum US-Unternehmen Deere & Company, welches der Weltmarktführer in Landtechnik ist. Und John Deere scheint der unange-fochtene Platzhirsch in allen Staaten, die ich bis jetzt durchfahren habe. Vom Rasenmäher bis zur gigantischen Erntemaschine gibts alles im Angebot. Und Ed ist gerade dabei, ein ebensolches riesiges, grünes Ungetüm zu reparieren, als Valentin und ich beschliessen anzuhalten und ihn zu fragen, was denn eine solche Maschine kosten würde. Seit Tagen fahre ich nun an diesen Werkstätten vorbei, die inzwischen präsenter sind als die Autogaragen, und frage mich eben das. Er zeigt auf ein riesiges Ding der Linie 9870 und meint: "This one's brand new and costs around half a million." Wow, nicht grad wenige Dollars, die man für eine solche Maschine hinblättern muss. Aber anscheinend verdienen die Farmer hier mit ihrem Mais sehr gutes Geld, indem sie einen grossen Teil der Bio-Ethanol-Industrie gewinnbringend verkaufen. Nebraska ist immerhin der zweitgrösste Ethanolproduzent in den USA und es gibt hier rund 24 aktive Raffinerien. An einigen sind wir bereits vorbeigeradelt. Vorbei sind also die Zeiten, wo viele Bauern hier um ihre Existenz kämpfen mussten. Nach dem kurzen Schwatz mit Ed, gehts wieder weiter Richtung O'Neill - the Irish Capital of Nebraska. Hier werde ich einen Ruhetag einlegen, während Valentin morgen weiterzieht. Ich habe heute beim Picknick-Lunch, nachdem wir uns gemeinsam die Karte von Nebraska angeschaut haben, beschlossen, dass ich meine geplante Route durch den Staat etwas abändern werde. Ich bleibe auf dem Highway 20 bis Chadron und werde dann Richtung Norden nach South Dakota in den Black Hills National Forest fahren, wo sich Mount Rushmore befindet - das nächste grosse Ziel. Ich habe bis anhin auf eine Route gesetzt, die mich früher nach South Dakota führt. Diese hätte mir jeden Abend ein Motel be-schert, jedoch wenig bis gar keinen Service dazwischen. Die Highway 20-Route wird mich zwar 'zwingen' eine Nacht in Merriman auf einem  Camping-Platz zu verbringen, jedoch ist die Versorgung an Tankstellen unterwegs besser gewährleistet. Aber Pläne können hier draussen schnell wieder ändern - je nach Windverhältnissen eben Let's keep fingers crossed, dass es noch länger so vorteilhaft bleibt!

01.08. - Born to be wild und 2'500 km erreicht!

Mein Pausentag ist vorbei. Mancher mag sich fragen, was man an einem solchen Tag in einem Kaff wie zum Beispiel O'Neill mit 3,705 Einwohnern macht. Berechtigte Frage - die ich mir jedes Mal wieder aufs Neue stelle. Nebst Waschen und Besorgungen erledigen, suche ich mir jeweils einen netten Ort draussen, wo ich mich nieder-lassen kann, um etwas zu lesen. Bis jetzt waren die Orte immer gerade genug gross, dass es irgendwo einen City Park gab. Diesmal hatte ich sogar den Luxus eines Public Pool's! Das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Wer sich jetzt etwas im Rahmen eines Allenmoos in Oerlikon oder des Fohrbach in Zollikon vorstellt, liegt meilenweit daneben. Es ist, was es sagt, dass es ist: Ein Pool. Punkt. Es hat zwar einen kleinen Park mit weichem Rasen    drumherum, wo man sich schön hinlegen könnte nach dem Schwimmen. Aber der ist mit genügend Maschendrahtzaun vom Pool abgegrenzt. Die Badi selber ist ein Schwimmbecken mit einem maximal zwei Meter breiten Betonboden rundherum. Schatten sucht man vergebens, denn es gibt keine Bäume oder Sonnenschirme auf den paar Quadratmetern. Dafür gibts für das kleine Becken vier Bademeister und das Wasser ist knapp unter Körpertemperatur. Ich hoffe das ist gewollt so und nicht die Folge der Kinder-Pool-Party, die dort grad statt-gefunden hat... Der O'Neill Pool hat sogar seine eigene Facebook-Seite. Da werden verlorene Bikinis und vergessene Sonnencrémen geposted und angekündigt, dass das Acqua Zumba am selben Tag ausfällt. Tja, Faulenzen ist vorbei und heute gehts weiter Richtung Westen - Ainsworth, das 104 km entfernt liegt. Nach der ersten Stunde merke ich, wie die Maisfelder seltener werden und das Grasland immer präsenter wird. Die Gegend nennt sich nebst Cattle Country auch Hay Country. Dem entsprechend gibt es auch immer mehr Ranches, die Farmen werden weniger. Die Gerüche ändern sich auch. Das ist das tolle am Velofahren hier draussen - man nimmt die Umgebung auch über die Nase wahr. Ich habe viele grosse und kleinere Viehtransporter, die an mir vorbeisausen und - leer oder mit 'Fracht' - stark nach Rinder- oder Pferdesch(w)eiss riechen. Die getrockneten Grasballen, die auf den Feldern liegen, riechen intensiv und angenehm nach Heu. Oder da ist der Abschnitt mit Pinienwäldern kurz vor meinem Ziel, der mich sofort an vergangene Sommerferien in Südfrankreich erinnert. Was mir heute auch besonders auffällt, sind die vielen Motorradfahrer. Ich habe in den letzten Tagen ein paar Mal mitbekommen, dass es in South Dakota bald ein jährlich stattfindendes Harley-Davidson-Treffen gibt. Sturgis heisst der Ort und die gleichnamige Rally. Ich wollte den Event schon vor ein paar Tagen mal auf dem Web nachsehen, habs aber immer irgendwie vergessen - hät ich besser... An einer Tankstelle bei Bassett komme ich mit einem älteren, bärtigen Biker ins Gespräch. Zane ist aus Vermont und auf dem Weg nach Sturgis. Von ihm erfahre ich auch, dass Sturgis in der Nähe von Mount Rushmore liegt und vom 3. bis 9. August stattfindet - also genau nächste Woche, wo ich auch bei den vier Präsidenten vorbeischauen will. Als ich dann höre, dass jeweils rund 400'000 (!) Biker zu der Rally fahren, sagt mir mein Bauchgefühl, dass es schwierig werden wird, eine Unterkunft in den drei von mir angepeilten Orten rund um Mount Rushmore zu finden. Und falls ich was finde, dann wird es mich teuer zu stehen kommen. So ist es auch - ich habe eben nachgeschaut: Die Preise scheinen mindestens doppelt so hoch, wie sonst... Zane ist so nett und gibt mir seine Handynummer für den Fall, dass ich nichts finden würde. Er hat in Hill City eine Cabin gefunden, in der er vier Tage übernachten wird, und bietet mir ein Dach über dem Kopf an. Ich bedanke mich herzlich bei ihm. Ich weiss aber jetzt schon, dass der Ort zu weit von meiner Route wegliegt, so dass er für ein Notfall-Szenario nicht in Frage kommt. Bis ich dort ankomme bin ich schon zehnmal wegen Erschöpfung irgendeine Böschung im Black Hill Forest runtergestürzt und von Bären gefressen worden - Dextroenergen hin oder her. Einmal mehr zeigt sich, dass das Verständnis für Distanzen der motorisierten Amerikaner stark von meinem divergiert. Ich habe schon oft nettgemeinte Tipps für Sehenswürdigkeiten erhalten, die 'just a few miles' von meiner Route abwichen. Die nehm ich inzwischen dankbar entgegen, im Wissen: It's not gonna happen. Als ich anfangs noch entschuldigend erklärt habe, dass die 20 Kilometer leider ein zu grosser Umweg seien, hab ich vorwiegend verständnislose Blicke geerntet. "Sollen sie doch selber mal aufs Fahrrad steigen und schauen, wie weit sie kommen," hab ich mir dann auf der anderen Seite gedacht. Also lass ich es nun sein - 'lächeln, nicken und bedanken' ist das Motto. Heute bin ich bereits um 15.00 an meinem Tagesziel, trotz über 100 km Strecke. Es ist zur Zeit absolut windstill. In Kombination mit dem flachen Land hier draussen sind das beste Voraussetzungen für lange Strecken in kurzer Zeit und ohne grosse Anstrengung. Und es gibt was zu feiern: Ich habe seit heute 2'500 km auf meinem Tacho und Hinterteil. Das heisst über die Hälfte der Strecke habe ich geschafft - was für ein Gefühl! Und das ganze ohne nennenswerte Zwischenfälle oder Probleme. Zur Feier das Tages werd ich jetzt nebenan ins Golden Steer Steakhouse gehen und mir ein grosses, saftiges Stück Angus Beef gönnen.

 

Nachtrag um 22:58: Bin vor einer halben Stunde aus dem 'Golden Steer' zurückgekehrt, wo ich mich sehr nett mit Darleen, einer Kuhzüchter-in, unterhalten habe. Die darauf folgenden 30 Minuten haben ich, der indische Betreiber und seine gestresste Frau versucht, in mein Motel-zimmer zu kommen. Das elektronische Türschloss war tot und auch der  Chef hat, trotz Passpartout, Handbuch und komischen Geräten, keinen Weg gefunden, die Türe zu öffnen. Hab mich schon in der Lobby auf dem Sofa schlafen gesehen... Dann ist mir eingefallen, dass ich das Fenster offengelassen habe und somit nur noch das Fliegengitter entfernt werden muss, um ins Zimmer zu kommen. Zum Glück ist dieses auf dem Ground Floor - wär schwierig geworden im ersten Stock... Wir laufen also ums Motel, als es grad beginnt zu regnen. Timing ist alles. Der Hotel-manager hievt seine Frau in mein Zimmer, welche die Türe dann von innen öffnet. In der Zeit bis ich drin bin, hat sich schon ein halbes Dutzend Mücken und Falter vor dem beginnenden Sturm in mein Zimmer gerettet. Ich schlafe heute Nacht also nicht alleine. Wenigstens gibt es morgen einen 10 USD Refund, verspricht mir der Betreiber. Das Abenteuer hört in Nebraska nie auf!

02.08. - Cowboys, Bisons und Prärie: Willkommen im Wilden Westen

Den heutigen Tag beginne ich bei Corn Flakes und Apfelsaft im Frühstücksraum des Super 8 Motels in Ainsworth - zusammen mit etwa zehn motorisierten Bikern. Das Durchschnittsalter der Rally-Teilnehmer scheint mir irgendwo um die 60 zu liegen. Junge habe ich bis jetzt gar keine gesehen. Mit Jung meine ich 30 oder jünger... Gut, den Event gibts auch schon seit fast 75 Jahren - vielleicht liegts daran. Da hats wohl noch ein paar der ersten Stunde mitdabei. Ich verabschiede mich kurz nach 08.00, damit ich zeitig losfahren kann. Zwar stehen heute nur 74 km auf dem Programm, aber ich möchte früh in Valentine ankommen, damit ich noch im Fort Niobrara Wildlife Refuge vorbeifahren kann, das etwa 10 km ausserhalb des Orts liegt. Dort soll es rund 350 Bisons auf 76 km2 zu bestaunen geben. Also kräftig in die Pedale getreten, damit ich um den Mittag die Strecke geschafft habe. Ich flitze durch die Sandhills, welches grasbewachsene Sanddünen sind, die ganz spezifisch für diese Gegend sind und rund einen Viertel der Fläche von Nebraska ausmachen. Mal links und mal rechts von mir zieht sich der Cowboy Trail entlang des Highway 20. Der Trail ist ein rund 310 Meilen langer Velo- und Wanderweg durch Nord-Nebraska, welcher auf einer alten Zugstrecke, der Cowboy Line, erstellt wurde. Wieso ich nicht auf dem nostalgischen Fahrradweg fahre, mögen sich einige fragen. Es ist ja nicht so, dass ich es nicht probiert hätte. Valentin und ich sind auf unserer Fahrt nach O'Neill vor vier Tagen auf den Weg gestossen. Wir sind rund einen halben Kilometer auf dem gekiesten Strässchen rumgerutscht, um dann schnellst  möglich wieder auf den geteerten Highway zu kommen. Würd ich dem Trail folgen, müsste ich wahrscheinlich ein Woche länger für meine Tour rechnen, hätte am Ende eine Stauballergie und bräuchte sicherlich packweise Beruhigungsmit-tel. Ich habe übrigens auch noch nie jemanden auf dem Weg gesehen, weder mit noch ohne Velo... Es ist kurz nach 12.00 und etwa 4 km vor Valentine, als ich auf einer Brücke anhalte, um zu Mittag zu essen. Die Brücke führt über den Niobrara River und ich habe eine atemberaubend schöne Aussicht auf die alte, metallene Zugbrücke der Cowboy Line und den Fluss. Ausserdem weht ein angenehme kühlendes Lüftchen. Hinter mir donnern inzwischen im minutentakt die Harleys vorbei und hin und wieder ein Truck. Den Blicken nach zu urteilen denken die sich wohl, ob die hohle Nuss auf dem Brückengeländer nicht weiss, dass ein paar Kilometer weitervorne McDonald's seine Burger brutzelt. Um 13.00 komme ich im Motel Raine an und nehm gleich als Erstes eine Dusche. Es ist inzwischen gegen 90° Fahrenheit, was heisst: heiss. 32° Celsius sagt mein Fresszettel, den ich grad neben mir hab. Ich musste mir die wichtigsten 5-er-Schritte ganz zu Anfang aufschreiben, da die Umrechnung einfach zu kompliziert ist - für jemanden, der im Kopf-rechnen nie besonders stark war. Auf dem Fahrrad merke ich die Hitze jeweils gar nicht so arg. Mit dem Fahrtwind einher kommt eine gewisse Abkühlung - wenns nicht grad einen Hügel hinaufgeht. Nach der kühlenden Dusche gehts wieder in die Hitze, Richtung Bisons. Dort angekommen gibts eine Schotterstrasse den Hügel rauf zum Visitors Center zu bewältigen. Nassgeschwitzt bin ich schon seit dem zweiten Häuserblock in Valentine... Die nette Dame am Empfang erklärt mir dann ganz nett, dass ich mit meinem Fahrrad die rund 3.5 km lange Autoroute durch den Park leider nicht machen darf. Wegen den Bisons. Eben: Wegen denen bin ich doch hier! Die hat wohl Angst, dass mich einer der Bullen entweder für einen Rivalen oder aber eine brünstige Kuh halten könnte. Ich weiss jetzt auch nicht recht, was schlimmer wäre. Dann knipse ich halt den ausgestopften, mottenzerfressenen Büffel im Vorraum und stell mich etwa 300 Meter vom Infohäuschen entfernt an den Zaun des 76 km2 grossen 'Geheges'. Mit viel Fantasie stelle ich mir die braunen Punkte am Horizont als Bisons vor... Dafür werde ich auf der Rückfahrt mit der Sichtung meines ersten richtigen Cowboys auf dem Pferd belohnt. Beim    vorbeifahren fängt das Tier an nervös zu werden, weil es mich und mein Fahrrad nicht einordnen kann. "That's the strangest thing she's ever seen," ruft der Mann mit dem Hut mir zu. Ist auch nicht das erste Mal, dass Tiere irritiert reagieren, wenn sie mich auf dem Drahtesel sehen. Wenn Trucks oder Autos an den Weiden vorbeifahren, hab ich noch kein Tier reagieren sehen. Ich jedoch werde von den Viechern mit ratlosem Blick fixiert und nicht aus den Augen gelassen, bis ich aus deren Blickfeld verschwunden bin. Zweimal habe ich schon die Erfahrung gemacht, dass mir eine Gruppe von zehn bis zwanzig Rinder dem Zaun entlang hinterhergaloppiert ist. Vielleicht haben die mein 'gehörntes' Velo für den Leitbullen gehalten - keine Ahnung, was die sich dabei überlegt haben... Unangenehm wird es, wenn Hunde wildkläffend von den Häusern auf die Strasse gerannt kommen. In Iowa hatte ich mal vier aufs Mal, die mir gefolgt sind. Der Pfefferspray ist dann mein erster Gedanke. Eins weiss ich: Falls das Ding mal zum Einsatz kommt, dann ists nicht wegen eines Axtmörders oder wilden Bären, sondern wegen eines aufdringlichen Kläffers. Zurück im Motel putze ich wieder einmal mein Velo, öle die Kette und kontrolliere, ob alle Schrauben noch fest angezogen sind. Eddie vom Werkstattkurs hat mir eingebläut, die Schrauben regelmässig zu kontrollieren. Nichts Blöderes, als dass irgendwo auf der Strecke eine verloren geht und es blöderweise grad die vom Sattel oder eine bei den Bremsen war. Danach gehts zu Ranchland Foods nebenan. Ich kaufe Proviant für morgen Mittag, Abend und Über-morgen zum Frühstück. Da ich morgen zelten muss/darf, weil es bis zum 200 km entfernten Chadron zwischenzeitlich kein Motel gibt, decke ich mich mit allerlei Leckereien ein: Drei Dosen Chicken, zwei Cheese-Strings (die sind für den Lunch morgen, denn eine Kühl-Box hat auf meinem Velo leider kein Platz), Cherry-Tomaten, Mini-Rüebli, zwei Muffins (einer zum Dessert am Abend, der andere zum Frühstück), zwei Bananen, ein Apfel, eine Nektarine. Tortillas hab ich noch acht Stück. Das wird ein wahrer Festschmaus auf dem Cottonwood Lake Camping-Platz werden :) Auf WiFi muss ich wohl oder übel verzichten. Das heisst zwei Tage ohne Kommunikation zur Aussenwelt, denn mein Handy-Empfang ist weiterhin nicht-existent hier draussen. Wird schon gehen - in Thailand hab ichs immerhin zehn Tage ohne geschafft. Bis in zwei Tagen in dem Fall!

03.08. - Eine Nacht im Stadtpark

Die heutige Strecke führt mich nicht ganz 100 km weiter auf dem Highway 20 nach Merriman. Die Strasse zieht sich parallel, teilweise nur etwa 10 km südlich, entlang der Grenze zu South Dakota weiter Richtung Westen. Die ersten 60 km hat es noch alle zehn bis zwanzig Kilometer ein Dorf. Wobei die Einwohnerzahl jeweils zwischen 20 und 169 liegt. Das Kaff um Kilometer 60 heisst Cody. Das Ortschild besagt 'A town too tough to die'. Vielversprechend, denk ich mir. Es ist inzwischen kurz vor 12.00, respektive 11.00, da ich vor rund einer Stunde die Grenze von Central Standard zu Mountain Time passiert habe. Ich spüre den Hunger und gemäss Google-Maps sollte es hier eine Tank-stelle mit Shop haben. Hat es auch. Nur leider ist der Shop geschlo-ssen. Obwohl bei der Ortseinfahrt steht 'open daily from 11 am'. So wie die Tankstelle aussieht, könnte es auch sein, dass die gar nie mehr aufmacht... Trotzdem setze ich mich vor das heruntergekommene Häuschen, da ich sonst keine Alternative sehe, in dem 154 Seelenkaff sonstwo ein Schattenplätzchen für meinen Lunch zu finden. Während ich wiedermal meinen Tortilla-Chicken-Lunch geniesse, fahren immer wieder Töffs, RVs und Autos heran, in der Annahme, dass es hier kalte Getränke, ein WC und ein paar Snacks gibt - wie ich eben auch. Ich schüttle jeweils nur den Kopf, wenn mich die Leute fragend anschauen. Eine ältere Frau fragt mich dann aber doch noch, ob der Shop überhaupt noch aufmache. Seh ich so aus als käme ich aus der Gegend, frag ich mich und sage dann: "Sorry, I’m not from around here..." Nach etwa 45 Minuten muss ich mich richtig zwingen, wieder aufs Velo zu steigen. Es ist inzwi-schen glühend heiss da draussen in der Prärielandschaft und winden tut es keinen Deut. Am Strassenrand sind keine Bäume mehr zu finden, die zwischendurch mal für eine kurze Trinkpause schützenden Schatten spenden. Zum Glück sind es nur noch 37 km bis Merriman, denk ich mir. Bald merke ich, dass es das mit dem flachen Gelände wohl nun war. Ein auf und ab durch die Sandhügel beginnt und die Sonne brennt unerbitt-lich auf mich herab. Eine halbe Stunde vor Merriman passiere ich einen Abzweiger auf dem steht 'Eli 2 (Meilen)' und darunter lese ich 'unincorprated'. Das wäre also die erste Geisterstadt auf meiner Reise gewesen. Endlich kurz nach 14.00, etwa einen halben Kilometer vor Merriman, seh ich auf meiner linken Seite das Schild zum Cottonwood Lake Campground. Ich fahre einen Kilometer auf einer schlecht unter-haltenen Schotter-Teer-Sand-Strasse und steh dann vor dem Eingang. Da hängt ein grosses Schild, dass mir mitteilt, dass leider 'due to recent budget cuts' eine 'reduction in services' nötig wurde. Ehrlich gesagt, sieht das Schild nicht aus als wäre das 'recently' aufgehängt worden. Ich fass es nicht: Ich habe auf einer Webseite einen Platz für 16 USD reserviert in der Annahme, dass es sicherlich auf ein paar andere Camper treffen würde. Es ist offensichtlich, dass hier ausser mir und ein paar schnatternden Enten weit und breit keine anderen Zweibeiner zu finden sind. Und das wird sicherlich auch so bleiben. Na toll! Meine erste Nacht im Zelt: Mutterseelenallein hier draussen. Da kann mich der Axtmörder, wenn er mit mir fertig ist, gleich ganz praktisch im Sumpf des kleinen Sees in einem Sack mit Steinen versenken. Keine Zeugen und meine Hilferufe hört im 128 Einwohner zählenden Dorf vorne sicher keiner. Ich inspiziere also mal die Infrastruktur. Ein WC, das ich mit 100 Fliegen teilen muss, hat es wenigstens. Einen Wasserhahn, der einsam auf der Wiese steht gibt’s auch. Nur, dass das Wasser gelblich ist, das da rauskommt... Zum Glück hab ich noch die Iodin-Tabletten von Nick. In dem Moment beschliesse ich, ins Dorf zu fahren und mich nach Alternativen zu erkundigen. Es gibt eine Tankstelle – geschlossen. Ein Cafe – hat grad vor einer Stunde zugemacht, morgen Montag ist Ruhetag. Der einzige Laden, der offen hat, ist die Sand Bar. Was für ein passender Name für die Gegend. Ich trete also in den dunklen Raum und die vier Gäste an der Bar starren mich an, wie ich es sonst nur von den Kühen auf den Weiden gewohnt bin. Beim ca. 90-jährigen Barmann bestelle ich eine Cola und ein Snickers und setze mich dann an einen Tisch beim Eingang – da kommt wenigstens noch etwas Tageslicht rein. Meine Stimmung hellt sich etwas auf. Was so ein bisschen Zucker ausmachen kann! Die anwesenden Gäste verlassen das Lokal nach ca. 10 Minuten und als der alte Mann seine Post zu erledigen beginnt, wende ich mich an ihn. Ich frage nach, ob es Alternativen gibt zum Cottonwood Lake Campsite. Der Alte fragt mich, wie gross denn mein RV sei. Es gäbe einen Platz um die Ecke, mit Strom. Als ich ihm sage, dass ich mit dem Velo reise und nur Platz für ein Zelt benötige, winkt er ab. Dort   gibt es keine Toiletten oder Wasser - ist eben nur für 'selfcontained' RVs. Aber er meint, der City Park hätte WC und Dusche, sowie Grill-plätze. In dem Moment weiss ich, wo ich heute Nacht schlafen werde. Nicht einsam am See, sondern Downtown im Stadtpark von Merriman. Hier hört mich wengistens die ganze Einwohnerschaft schreien, wenn was ist, denk ich mir. Ich kaufe noch eine Flasche Wasser, M&Ms und ein Twix und fahre zum Park gleich um die Ecke. Hier ist alles gleich um die Ecke, da es nur etwa vier von denen gibt... Es nun 19.30. Das Zelt steht, ich habe gegessen und geduscht und harre nun der Dinge, die da kommen. Ein paar Leute haben beim vorbeifahren schon etwas schräg gekuckt. Wahr-scheinlich weiss schon das ganze Dorf, dass eine Verrückte im Stadtpark campiert. Die Dusche ist auf jeden Fall sauberer als in gewissen Motels, in denen ich in den letzten Wochen genächtigt habe. Und es hat einen Duschvorhang und warmes Wasser!

04.08. - Leidensgenossen und Indianer

Ich weiss nicht, ob ich's speziell erwähnen muss. Aber nur falls jemand gedacht hat, ich schliefe im Stadpark von Merriman wie ein Herrgott: Überraschung - dem war nicht so! Am Material hats nicht gelegen, das kann ich auch gleich vorwegnehmen. Das Therm-Rest-Mätteli hat sich brav mit Luft gefüllt. Leider ists halt keine Matratze, sondern nur eine Mätteli. Der Schlafsack hat mich gewärmt, nur ists halt etwas eng in dem Ding. Und das Zelt, das hat gehal-ten. Nur hat wegen des Windes draussen das ganze Aussenzelt geflattert und unheimliche Geräusche gemacht. Dass der Park auch noch mit orangen Lampen beleuchtet war, hat auch nicht dazu beigetragen, dass ich mich sicherer gefühlt hätte. Sich bewegende Schatten von den umliegenden Bäumen und das flatternde Zelt, haben mich alle paar Minuten glauben lassen, dass diesmal aber nun wirklich einer um mein Nachtlager schleicht. Und einmal - ich schwörs - hat mich etwas am Fussende von aussen beschnuppert und berührt. Mir ist echt das Blut in den Adern gefroren. Ich hab nur "Hau ab!" rufen können - als obs jemand verstehen würde... Den Pfefferspray hatte ich während der ganzen Zeit und Nacht in der Hand. Um 03:30 bin ich dann wieder aufgewacht und hab mir nichts sehnlicher gewünscht, als dass diese Nacht bald ein Ende habe. Ich bewundere Leute, die Nacht für Nacht wild campieren wollen. Nach einer Woche würde ich wegen akutem Schlafmangel und anhaltenden   Angszuständen mein Vorhaben abbrechen müssen. Und dann die Viehcher überall. Ich bin sicher, in meinem Zeltsack, der vis-à-vis auf dem Sofa liegt, halten Schabe & Co. gerade ein Festmahl ab. Als ich heute morgen von Merriman aufgebrochen bin, war ich froh zu wissen, dass am Abend wieder ein frischbezogenes Bett in vier Wänden mit einem Schloss an der Tür auf mich wartet. Eine 'Must'-Camp-Station erwartet mich in Bighorn noch. Für Yellowstone überleg ich mir die guten Vorsätze à la 'ich will die Natur dort oben Tag und Nacht ganz nah erleben' nochmals... Die Etappe heute war sehr anstrengend. Irgendwie hat mein Routenplaner von bikemap mir vor ein paar Tagen 110 km angezeigt. Schlussendlich bin ich nun doch 125 km gefahren. Nicht dass es etwas geändert hätte an der Route. Eine Wahl hatte ich nicht. Aber mental macht es für mich jeweils schon einen Unterschied, wenn ich unerwarteterweise 'ein paar' Kilo- und Höhenmeter mehr zurücklegen muss. Es war wieder 33° heiss und auf einigen Streckenabschnitten hatte ich moderaten Gegenwind. Ich musste an jeder Tankstelle (es gab nur drei) anhalten, um mich wieder mit einem kalten Apfelsaft oder einer kühlen Cola zu motivieren. Sehr gefreut hab ich mich über die Begegnung mit Dakota und Chelsea. Ich bin in Rushville um ca. 13.00 eingefahren und hab auf die beiden vor einem Lebensmittelgeschäft stehen sehen. Die Bikes mit Ortlieb-Taschen vollgepackt und am Wassermelone essen. Da ich auf meiner Reise bis anhin nicht so viele Tourenfahrer getroffen habe, fahre ich kurzerhand zu dem Laden rüber. Die beiden kommen aus Portland, Oregon, haben ihr Haus untervermietet und zuerst via RV eine Tour d'Amerique gemacht. Um dann aufs Velo umzusteigen und die nächsten Monate spontan das Land weiter zu bereisen. Er arbeitet via seinem Laptop weiterhin und ver-dient Geld. Natürlich haben auch sie eine Webseite und eine entspre-chende Visitenkarte dazu. Alle Amis scheinen das zu haben - gehört irgendwie zur Standardausrüstung. Ich merke, dass ich im Moment ein grosses Bedürfnis habe, mit Leuten zu reden, die genau wissen, was ich gerade erlebe. Z.B. wie schwierig es ist, sich in vielen Regio-nen einigermassen gesund zu ernähren, oder welche Velopannen, der andere bereits meistern musste. Es vergehen 45 Minuten wie im Fluge und es gäbe noch so vieles zu erzählen. Das war das tolle mit Valentin und ich hoffe, wir treffen uns in den nächsten Tagen wieder. Er hat geschrieben, dass er gestern mit einem Native-American ins Rosebud Indian Reservation, in South Dakota, mitgegangen ist und dort anscheinend allerhand erlebt hat - unter anderem an irgendeinem    Opferritual teilnahm. Die Indianerreservate geniessen nicht unbedingt den besten Ruf, so wie ich das bis jetzt mitbekommen habe. Die Arbeitslosigkeit von 40 bis 80%, die damit verbundene Armut, sowie Alkoholmissbrauch und teilweise Kriminalität stellen in vielen dieser selbsverwalteten Gebiete grosse Probleme dar. Meine Kontakte beschrän-ken sich bis jetzt leider nur auf Begegnungen im Supermarkt oder an Tankstellen. Da bin ich mal auf Valentin's Geschichten gespannt. Morgen geht es über die Grenze nach South Dakota - tiefer ins Land der Cowboys und Indianer. Nebraska-Video