Jeder Kilometer zählt!

Über 75 Sponsoren haben für jeden von mir gefahrenen Velokilometer in den USA 1 Rappen an Tixi gespendet. Herzlichsten Dank!

Start auf der Brooklyn Bridge

25.06. - Erster Tag überstanden

Der Veloladen war zum Glück heute offen! Doch da dieser erst um 10.30 Uhr öffnete, hat sich mein Zeitplan um einige Stunden nach hinten verschoben. Gut hab ich nur 50 km für heute geplant... Nachdem Aida und ich mehr oder weniger gekonnt die Aufhängung fürs Velo an ihrem armen Ford Focus festgezurrt haben gehts Richtung Brooklyn. Ein mulmiges Gefühl macht sich bei jedem Schlagloch auf  der Autobahn breit - ich kann mir einen Kontrollblick nach hinten jeweils nicht verkneifen. Was wenn mein Drahtesel es nicht mal bis zum Startpunkt schaffen würde, weil er auf dem Weg dahin unglücklicherweise von der Konstruktion am Heck fällt und entweder von einem riesigen SUV überfahren wird oder brutal an der Seitenabsperrung der Ausenspur zerschellt? Lieber nicht daran denken... Mit Verkehr, abladen Schwiegermutter in Queens und einem verspäteten Lunch auf einem Spielplatz in Dumbo gehts dann los. Nach 3 km begeb mich bereits aufs Schiff, um so schnell wie möglich nach Jersey zu kommen. Dort setz ich mich erst mal auf eine Bank des Ferry Terminals. Das GPS, das heute morgen noch so gut funktioniert hat auf dem Weg von Bill's Veloladen zu Aida, hat auf einmal Probleme. Es berechnet die Route nur bis 80% und teilt mir dann mit, dass keine Speicherkapazität vorhanden sei. Das Ding ist aber völlig leer! Ich seh mich schon in ein Hotel einchecken in Hoboken... Nach einer gefühlten Ewigkeit und ein bisschen Rumgedrücke klappts dann auf einmal. Inzwischen ist bereits 16.00 Uhr und ich muss mich langsam etwas beeilen. Das GPS führt mich über zwei Brücken nach Newark. Links von mir donnern auf drei Spuren Autos und LKWs vorbei, so dass ich mir nicht ganz 100% sicher bin, ob Velofahrer auf diesen Strassen tatsächlich zugelassen sind. Aber Alternativen gibt es nicht wirklich. Weitere geht es durch Newark, wobei ich nicht sicher bin, wann der nächste Ort wirklich beginnt. Ortstafeln kennt man hier offenbar nicht. Vom heruntergekommenen Vorort wird es langsam immer ländlicher und kurz vor meiner Ankunft im Olde Mill Inn springt sogar noch ein süsses kleines Reh vor mir über die Strasse. Idyllisch ists hier auf dem Lande!

27.06. - Appalachen und Road Kill

Up and down, up and down. Das ist das Motto meiner ersten Etappen. Obwohl es nirgends einen höheren Hügel als den Uetliberg gibt (und den finde ich über die Appalachen), komme ich die letzten zwei Tage auf jeweils über 1000 Höhenmeter, positive wohl verstanden :) Pennsylvania ist bis jetzt wunderschön - sieht fast ein bisschen wie in der Schweiz aus. Was definitiv nicht wie in der Schweiz ist: Kein Coop, Volg oder ähnliches in jedem Kaff. Spontan irgendwo etwas zu trinken kaufen, wenn einem danach ist gibts nicht. Auch Restaurants gibts auf meiner Strecke dutzende von Kilometer keine. Da bin ich um die Packung Beef Jerky und den Power-Riegel recht dankbar. Dafür trifft man überall auf Leute, die interessiert fragen, wohin ich den fahre. Sei es aus dem stehenden Auto an der Ampel, vor dem Pizza-Resti in New Tripoli, wo ein netter Gast mir auf den Parkplatz folgt, um sich zu vergewissern, ob er richtig gehört habe - San Francisco? Oder in voller Fahrt mit Gabe und Noël, die Studienkollegen, die vor 20 Jahren eine Velotour unternommen haben und diese nun fortsetzen. Wie der Zufall es will treffen wir in Schuylkill Haven vor dem einzigen Motel des Orts wieder aufeinander treffen. Da es keine Alternative in dem Kaff zu dem muffigen Country Squire Motel gibt, bleibt uns nichts anderes übrig als einzuchecken. Wenigstens riecht es im Zimmer nicht nach Rauch - wie gestern im Nazareth Inn. Hoteltechnisch ist der Tripp bis jetzt ein Disaster - aber ich hab ja noch fast drei Monate vor mir :) Wenigsten komme ich so zu netter Gesellschaft während des Abendessens und dem anschliessenden Dessert bei Rita's über die Strasse. Was man auch oft sieht, ist Road Kill auf den Autostrassen. Vom Frosch über Vögel, hin zu Katzen und sogar ein Reh. Ein etwas mulmmiges Gefühl macht sich jeweils breit. Aber grundsätzlich nehmen die Fahrer jeglicher motorisierter Vehikel Rücksicht: Wann immer möglich, weichen sie auf die zweite Spur aus oder wagen sich sogar bis auf die gegenüberliegende Strassenseite. Und bis jetzt hat mich mein Garmin GPS wenn immer möglich weg von den grossen Strassen geführt. Danke Margot für das GPS - ohne dies wäre ich hoffnungslos verloren!

28.06. - Zwei Platte Reifen und die Ewigkeit

Ich war mir durchaus bewusst, dass es früher oder später passieren würde. Aber bereits am vierten Tag? Und dann noch zwei innerhalb einer Stunde: Der platte Reifen. Den ersten bemerke ich erst beim losfahren - nachdem ich bereits meine 20 kg Gepäck auf mein Velo gehievt habe. Da muss sich wohl etwas Unwillkommenes gestern Abend kurz vor meiner Ankunft in Schuylkill Haven noch eine Mitfahrgelegenheit gesucht haben. Aber wir haben im Werkstattkurs bei Eddie ja gelernt, wie wir so was fix beheben können. Mein Ersatzschlauch kommt zum Einsatz. Nur zu blöd, dass ich irgendwie vergessen habe, was Eddie noch gesagt hat: Unbedingt den Pneu checken, ob noch was drinsteckt... So ist es auch und nicht mal eine halbe Stunde später steh ich erneut in gebückter Haltung am Strassenrand und spiele Velomech. Es ist fast 11.00 Uhr, bis ich meine Tour endlich richtig beginnen kann. Und es wird immer wie heisser und heisser. Keine Wolken zur gelegentlichen Abkühlung, wie die letzen paar Tage, als ich den ersten grossen Hügel hinaufstrample. Und es kommt zu einer grossen Offenbarung: Ich weiss nun, wie sich eine halbe und die tatsächliche Ewigkeit definieren lassen. Eine halbe Ewigkeit ist die Zeit bis zur vermeintlich letzten Steigung vor der vermeintlich letzten Kurve vor der lang ersehnten Abfahrt. Die Ewigkeit beginnt danach: Ich merke, dass es eben nur vermeintlich war und es unabsehbar ist, wann die letzte Steigung beginnt und wo sie endet. Natürlich alles immer begleitet von philospisch wichtigen Fragen zum Leben, Überleben und was danach kommt. Und dazwischen immer mal wieder das F-Wort. Aber dazu ein andermal :) Das Highlight des Tages noch: Ich bin der einzige Gast in "meinem" Bed & Breakfast River View Inn. Das heisst ein 3. stöckiges viktorianisches Haus inklusiv Küche und Wohnzimmer ganz für mich alleine! Und die netten Besitzer Linda und Gary, die gegenüber wohnen, führen mich zum leckeren Steak-Essen ins Hoss's aus. Scheint DER Hot-Spot für tätowierte Traktorfahrer mit modischen, ärmellosen T-Shirts, Baseball-Caps und Oakley-Sonnenbrillen zu sein. Und bei den Damen scheint FOKUHILA-Frisur auch grad wieder gross im Trend. Man muss offen sein für alles, sag ich mir...

29.06. - Ich bi tot

Nach über 100 km, 1200 Höhenmeter und 8 Stunden auf meinem Brooks-Ledersattel bin ich endlich in State College angekommen. Einen Ort für Lunch zu finden war heute eine echte Herausforderung sprich unmöglich. Und das nicht nur, weil es Sonntag ist. Es gab schlicht weg einfach nichts auf meiner Route. Das ist der Nachteil, wenn man auf idyllischen Nebenstrassen die schöne Gegend be-wundert. Erst um 17:30 Uhr entdecke in Millheim beim Vorbeifahren Vinnie's Pizzeria. Das Chicken Parmigiani mit Spaghetti rettet mich und gibt mir nochmals Energie für die letzten 30 km. Heute hab ich das erste Mal so richtig üblen Muskelkater und bin einfach nur froh, vor dem Eindunkeln in der Uni-Stadt angekommen zu sein. Laila's Wundercréme hat mein Hinterteil die letzten Tage vor Schmerzen bewahrt - damit ist heute offensicht-lich auch Schluss. Fazit: 5 Tage nacheinander auf dem Velo ist definitiv genug für mich!

30.06. - Die Löwen sind los

Heute ist Waschtag - juppiiih! Das heisst die nächste Stunde verbringe ich in Dolly's Washhouse bei sauna-ähnlichen Temperaturen. Zuvor hab ich mir noch einen neuen Ersatzschlauch besorgt und etwas Gepäck "entsorgt". Bereits nach dem ersten steilen Hügel am ersten Tag meiner Tour war klar, dass ich es kaum über die Rocky's schaffen würde mit meinem ganzen Plunder. Die Liste der Dinge "that have to go" hat sich seither stetig verlängert. Heute hab ich dann rund 3 kg nach Westbury geschickt: Veloschuhe (jetzt wird nur noch mit Turnschuhen geradelt), Solar-Panel inkl. Batterie (sogar Camping-Plätze haben Stromversorgung), Shirts, Fleece etc. Nun freue ich mich auf ein schattiges Plätzchen auf einem der unzähligen Rasen der Penn State Universität. Die Uni ist ominpräsent in State College - oder "Happy Valley", wie die Leute die Gegend hier nennen. Jeder zweite Shop verkauft Penn State- und Nittany Lions-Shirts in allen möglichen Ausführungen - und die Leute laufen auch tatsächlich mit dem Zeug rum. Die Läden passen im Sommer ihre Öffnungszeiten an, weil die meisten Studis nach Hause reisen. Die rund 100'000 Studenten sind auch dafür verantwortlich, dass State College in 2011 das dritt sicherste Ballungsgebiet in den USA war und die Arbeitlosenquote weit unter der des Landes und von Pennsylvania liegt. Aber faszinierend ist die unglaubliche Leidenschaft für das College Football Team Nittany Lions. Das Beaver Stadium ist mit seinen über 106'000 Plätzen das zweitgrösste des Landes, der ehemalige Trainer Joe Paterno wird trotz Sexskandal und unehrenhafter Entlassung verehrt wie die Queen in England - oder so ähnlich. Nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, welche Rolle College Football in der US-Sportwelt zukommt. Es gibt verschiedenste Meiterschaften und die Matches werden während der Saison samstags im Fernsehen übertragen. Vor ein paar Jahren habe ich das Buch "I am Charlotte Simmons" von einem ehemaligen Arbeitskollegen empfohlen bekommen. College Sport ist darin ein zentrales Thema und an einem Ort wie State College wird für einen Sport-Laien wie mich vieles auf einmal fassbarer. Aber die wichtigste Entdeckung des Tages: Es gibt auf dem Campus ein Freibad, das auch für Nicht-Studenten zugänglich ist. Dort werd ich mich morgen mal installieren, meinen Muskelkater auskurieren und die schönen Aussichten geniessen :)

01.07. - Sporttag in Happy Valley

Mein letzter Tag, bevor es morgen nach Clearfield weitergeht, steht ganz im Zeichen es Sports - sprich Fussball. Das gute an einer Uni-Stadt ist, dass es immer genung Sportbegeisterte auf Platz hat - auch wenn es "nur" Fussball ist. Ich installiere mich dann in Bill Pickle's Tap Room. Eine Sportbar mit offener Fensterfront für angenehme Temperaturen, gute Atmosphäre und fettige Burger. Nicht ganz unerwartet befinden sich um 12.00 Uhr nebst mir nur gerade ein paar argentinische Gauchos in dem riesigen Raum. Zum Glück gibts dort gratis Wifi und ich bin in stetigem Austausch mit Sara, Dani, Simi und Aida. Als es dann richtig nervenaufreibend wird gegen Schluss, ernte ich ein paar schräge Blicke von den Tischen nebenan - einige Kreischer kann ich mir einfach nicht verkneifen... Kurz vor dem Spiel USA-Belgien ist die Bar dann zum bersten voll. Da soll einer sagen, die Amis interessieren sich nicht für Fussball! Das coolste dabei: Unter den Blinden ist der Einäugige König :) Ob ihrs glaubt oder nicht: Ich avanciere zum Gilbert Gress von Pennsylvania - natürlich ohne die Frisur und die Brille... Der ältere Herr, der sich mit seinem Freund während der Nachspielzeit neben mich stellt, fragt mich über die Spielzeiten aus und ob das Prinzip des "Sudden Death" gelte. Und ich kann alle Fragen souverän beantworten - ha!

02.07. - Töffunglück auf der Klapperschlangenstrasse

In den letzten Tagen habe ich mich immer wieder gefragt, wie oft hier Töffunfälle passieren. Und heute habe ich leider eine Ahnung bekommen. In der letzten Woche hab ich unzählige "Kamikaze"-Fahrer an mir vorbeisausen sehen. Helmtragepflicht scheint es, zumindest in den bisherigen Staaten, nicht zu geben. Und meist hocken die Fahrer lediglich mit einem T-Shirt und ein paar Shorts auf ihrem Höllengefährt - am besten noch mit der Freundin im Trägerleibchen hinten drauf. Als ich mich nach meinem Picknick-Lunch weiter auf dem Rattlesnake Pike auf den Kamm des Black Moshannon State Parks kämpfe, ist es zuerst nur ein ziviles Polizeiauto, das an mir vorbeisaust. Innerhalb weniger Minuten folgen drei Ambulanzen, zwei Feuerwehrfahrzeuge und ein State Police-Auto. Man muss sich vorstellen, dass ich mich auf einer Strecke befinde, wo man sonst nur Vögel zwitschern hört, ausser Fliegen und Moskitos einem niemand belästig und höchstens alle 30 Minuten ein getunter oder klappernder Pick-Up-Truck an einem vorbeiholpert. Es dauert rund eine Stunde bis ich kurz vor dem Gipfel an den Unfall heranfahre. Die zwei Ambulanzen sind gerade vor ein paar Minuten wieder Richtung Tal gefahren, die dritte steht immer noch da. Der Töff ist offenbar in der Kurve ausgebrochen und klemmt noch in der Leitplanke fest, daneben ein weisses Tuch. Die Polizistin ermahnt mich über die Strasse: "Make sure you stay on the road!" Nett gemeint, aber wohl unnötig, das noch zu erwähnen. Ich kämpfe mit den Tränen und traurigen Bildern in meinem Kopf. Die verbleibenden Kilometer bis Clearfield ziehen sich unendlich in die Länge und ich halte 15 Minuten vor meinem Motel bei Gio's BBQ - ein Tankstellen Restaurant, das nach eigenen Angaben "Award Winning" sein soll! Da ich mich nicht für die fetttriefenden Pork Chops & Co. erwärmen kann, sind es einmal mehr Spaghetti und Meatballs. Dazu gibt es einen grünen Salat und eine Cola. Und das alles für $9! In Vietnam hab ich letztes Jahre auch nicht billiger gegessen. Ok, dafür vielleicht ein bisschen besser :) An der Theke spricht mich ein unbekannter, älterer Herr auf mein Velo an. "Awesome bike!", meint er. Das ist der Aufsteller des Tages. Vier Kilometer später checke ich ins Budget Inn Motel kurz vor Clearfield ein. Ich werde das Gefühl irgendwie nicht los, dass es sich hier um den kleinen Bruder des Bates Motels handelt. Guet Nacht i däm Fall und bis bald - hoffentlich...  

03.07. - Remember Punxsutawny Phil?

Wer hat ihn nicht gesehen? Den All-Time-Classic "Groundhog Day: Und ewig grüsst das Murmeltier" mit Bill Murray? Er ist hier, in Pennsylvania, gleich um die Ecke: Punxsutawny Phil. Leider liegt der Ort 10 km südlich meiner Route und ein paar Höhenmeter zu hoch. Mit dem Auto keine Frage, ich wär dort. Mit meinem Velo plus Gepäck plus einem schmerzenden Hinterteil: Eine unsägliche Tortur. Dafür darf ich wieder mal in einem klassischen US-Motel übernachten, diesmal heisst es Gold Eagle Inn. Was heisst: Am Stadt- respektive Dorfrand, an einer dicht befahrenen Kreuzung, vis-à-vis einer Tankstelle, die Strasse runter Burger King gleich neben McDonalds, ein Zimmer, welches das letzte Mal um Weihnachten gelüftet wurde, mit einem Teppich wahrscheinlich direkt vom Sperrmüll. Da weiss ich wenigsten wofür ich meine FlipFlops mitgenommen habe... Heute war ein wirklich guter Tag. Vor allem weil die Temperaturen äusserst erträglich waren, dank vieler Wolken und einem grösseren Gewitter am frühen Nachmittag. Das Beste dabei: Die Gewitter hier scheinen relativ kurz zu sein. Als es anfängt zu tröpfeln stoppe ich zuerst auf dem "Velostreifen" unter den Ästen ein paar nahestehender Bäume. Als der Regen immer heftiger wird flüchte ich mich dann auf das dahinterliegende Grundstück, wo ich mit meinem Velo unter der Aufhängung eines Campingwagens geduckt zuflucht finde. Bereits 20 Minuten später lässt der Regen nach und als ein paar verschreckte Hühner unter dem neben mir geparkten Auto hervorgekrochen kommen, weiss ich: Jetzt ist's vorbei :) Das Highlight des Tages ist mein Lunch. Kurz vor 13.00 Uhr fahre ich durch Luthersburg. Nachdem es die letzten Tage oft schwierig war, überhaupt einen Ort für ein warmes Mittagessen zu finden, zögere ich nicht, als ich an Joe & Sal's Pizza-Joint vorbeiradle - nix wie rein. Da ich keine Lust auf Pizza habe, bestelle ich ein Sub-Sandwich mit Meatballs. Nur um kurz danach zu realisieren, dass das Sandwich aus zusammengeklapptem Pizzateig besteht, mit Meatballs und unglaublich viel Mozzarella dazwischen. Deshalb ist das Essen per se auch nicht der Höhepunkt. Aber: Dass Joe mir anbietet, seinen Campingstuhl für mich auf dem kleinen Vorplatz seines Ladens aufzustellen, damit ich draussen an der frischen Luft mein Sandwich verdrücken kann. Mein schmerzendes Hinterteil entlastend, geniess ich die Aussicht auf die vorbeifahrenden Pick-ups und Trucks. Vielleicht sollte ich auch noch erwähnen, dass es drinnen, ausser für den Kühlschrank mit den Getränken und eine harte Holzbank, für nichts anderes Platz hatte :)

04.07. - Happy July 4 und Jessica rennt

Heute war wieder mal ein ereignisreicher Tag. Zumindest für jemanden wie mich, die mutterseelen-alleine durch das Hinterland von Amerika radelt, immer noch mit schmerzendem... aber lassen wir das. Da gibt man sich ja mit wenig zufrieden. Nachdem die anfängliche Euphorie über jeden Waffen-, Rasenmäher- und Beauty-Shop am Strassenrand etwas abgeflacht ist, gibts heute gleich einige Höhepunkte. Angefangen mit einem der heiligsten Feiertage der Amis - der Nationalfeiertag. Schon zwei Dörfer nach Brooksville ist die Hauptstrasse gesperrt wegen einer Parade. Man muss sich vorstellen, dass die Umfahrung eines solchen Dorfs schnell einmal 10 bis 20 km bedeuten kann. Ich frage den netten, ca. 80-jährigen, Verkehrskadetten am Fusse des Hügels, ob ich denn mein Velo nicht einfach entlang der Parade durch die Ortschaft schieben kann. Er versucht mir klar zu machen, dass er nicht aus der Gegend sei (wen der wüsste woher ich komme...) und ich den Chef oben auf dem Hügel am Ortsanfang fragen soll. Oben angekommen steht keiner da, der kompetent genug aussieht und so steig ich einfach ab und fange an, meinen Drahtesel entlang der Parade durch Corsica zu stossen. Wobei der Begriff Parade meines Erachtens etwas weit hergeholt ist. Das ganze Spektakel besteht aus dem lokale Feuerwehrauto, einem antiken Traktor, zwei Kindern in einem elektrischen Go-Kart und drei geschmückten Oldtimern, dazwischen noch ein Abschleppwagen -  keine Ahnung ob der offiziell dazugehört. Dieser Tross fährt 300 Meter die Strasse runter und die lokale Prominenz schmeisst für die kleinen Süssigkeiten auf die Strasse. Musik war im Budget wohl nicht mehr drin. Aber freuen tun sich alle und ich darf mir dann auch einige flotte Sprüche anhören, ob ich denn auch zur Parade gehören würde oder wo meine Umzugs-Nummer geblieben sei. Humor haben sie die Amis :) Das war dann auch schon mein persönlicher July 4-Höhepunkt. Danach sind alle Villages, Boroughs, Townships etc. wie ausgestorben. Was angenehm dabei ist: Es hat wenig Autos unterwegs und Trucks eigentlich gar keine. Umso überraschter bin ich, als mir in einer Abfahrt, kurz nach Clarion, auf einmal jemand entgegenrennt und eine Karre vor sich herschiebt. Diese Begegnung ist einfach unglaublich: Jessica rennt seit April von San Francisco Richtung New York! Jeden Tag mindestens einen Marathon, Ruhetage nur wenn absolut nötig - und das völlig alleine! Ich bin einfach nur sprachlos. Sie sammelt mit ihrer Aktion "Forward Motion" für die Brain Injury Association of America und hat schon Unglaubliches erlebt. Wir reden am Strassenrand kurz über unsere Pläne und Erfahrungen und sie gibt mir ihre Handynummer, falls ich auf meiner Strecke mal Tipps bräuchte. Ich komme mir auf einmal wie eine "Susi" vor mit meinem Unterfangen. Ab sofort werde ich mich nicht mehr über schmerzende Körperteile, Hitze oder muffige Motels beklagen... Ihr müsst unbedingt Jessica's Webseite besuchen - die Frau ist wirklich der Hammer! Auf dem Weg zu meiner Zieldestination, Emlenton, komme ich wiedermal durch eine Gegend, wo zahlreiche Amische Familien leben. Zu erkennen ist das jeweils an zwei Dingen: Den gelben Strassenschildern mit Pferd und Buggy drauf und wenn man das verpasst hat, merkt man es an den Pferdeäpfeln, die jeweils zu hauf auf dem Seitenstreifen liegen. Netterweise winken mir die Familien aus den vorbeifahrenden Kutschen jeweils freundlich zu. Die Amischen gelten ja als sehr zurückhaltend und verschlossen gegenüber den "Englischen" (=nicht-Amischen). Aber vielleicht verbinden uns ja unsere nichtmotorisierten Transportmittel irgendwie? Kurz vor 17.00 Uhr komme ich in "meinem" Bed & Breakfast Barnard House an und bin wiedermal ganz alleine heute Nacht - in einem wunderschön renovierten, alten Haus direkt am Fluss. Kathy, die Besitzerin klärt gleich ab, ob das einzige Restaurant im Ort noch geöffnet hat. Es hat - bis 18.00 Uhr. Dann schnell geduscht und ab gehts zu Little It'Deli für eine leckere Suppe und hausgemachte Ricotta-Ravioli Alfredo. Auch hier bin ich der einzige Gast, unterhalte mich aber bestens mit der Wirtin über die touristischen Aspirationen von Emlenton als Bike- und Outdoor-Paradies. Zum Abschluss noch ein Glacé aus der lokalen Eisdiele und dann ab nach "Hause" und meine heutigen Geschichten aufschreiben. Ganz nach dem Motto "Gestern pfui heute hui" werde ich heute sicherlich herrlich schlafen!

05.07. - Welcome to Ohio

Auf geht's Richtung Ohio! Nach dem leckeren Frühstück von Cathy und Paul mach ich mich auf der Route 208 auf nach Broadman. So der Plan zumindest.. Ich passiere die Brücke von Emlenton über den Allegheny River und will rechts den Hügel hoch. Ich bin noch nicht mal meinen ersten Kilometer gefahren und schon wartet eine nette Überraschung auf mich: Road closed for thru traffic. Echt jetzt?! Eine Umfahrung würde mich viel Kraft und Zeit kosten, deshalb entscheide ich mich, die Schilder und Absperrungen einfach zu ignorieren und mein Velo durch die Baustelle zu stossen. Da es Samstagmorgen ist und alle wahrscheinlich irgendwo am fischen, kayaken oder Squat-fahren sind ist das zum Glück kein Problem. Der Weg den steilen Hügel rauf ist anstrengend, was vor allem daran liegt, dass der Boden ausschliesslich aus faustgrossen Steinen besteht. Aber immer noch besser, als 10 km mehr oder weniger planlos in der anderen Richtung im "Gaggo" herumzuradeln. Meinen Lunchstop lege ich in Grove City ein. Der Italiener Nonni's Trattoria ist mehr oder weniger der einzige Laden in dem Städtchen, der offen hat. Der Besitzer David ist sehr an meinem Trip interessiert, macht Fotos und möchte diese gerne auf seine Facebook-Seite stellen. Lustigerweise war Jessica Goldmann gestern auch hier. Fast etwas zu viel Aufregung für die Leute in dem kleinen Ort. Ob das der Grund ist, wieso 50 Meter weiter vorne plötzlich ein älterer Herr ungebremst rückwärts in ein Ladenlokal fährt? Wahrscheinlich nicht. Aber ich bin heilfroh, hat der nicht vor der Trattoria geparkt, denn ich habe mich extra vor das Resti gesetzt, um meine Clam-Pasta draussen essen zu können. Das ist in den USA genug selten möglich, da hab ich das doch gleich ausgenutzt. Wäre schade gewesen, hätte meine Reise hier schon geendet... Weiter gehts! Auf der Strecke nach Grove City läuft es ausserordentlich gut. Ich merke, dass das Gelände langsam flacher wird. Die Gegend ist wunderschön: Weite Felder, kleine Seen, Pferde auf Koppeln und die Möglichkeit, ab den Höfen frische Produkte zu kaufen. Dabei vergesse ich total, dass es wiedermal an der Zeit wäre, etwas von meiner Sonnencréme SPF 50 aufzutragen. Prompt handle ich mir damit meinen ersten, und hoffentlich letzten, Sonnenbrand ein. Dabei hat doch die Presbyterianische Kirche in New Wilmingtion auf ihrem Message-Board noch gewarnt: Prevent Sunburn, Wear Sunscreen. Kurz nach 17.00 Uhr komme ich dann in Boardman an. Mein Motel befindet sich an einer Ausfallstrasse der Interstate 680. Dem entsprechend ist die Umgebung hier: Alle grossen Motelketten sind im Umkreis von eine paar hundert Metern vertreten, Burger King & Co. tummeln sich dazwischen und vom Nagelstudio bis zum Swimming-Pool-Installateur gibts hier einfach ALLES. Sogar ein Kino der Regal-Kette hat es vis-à-vis meiner Bleibe. Nachdem ich jedoch das Programm studiert habe, lass ich es dann doch lieber bleiben. Zum einen interessiert mich die anscheinend tragische Kindheitsgeschichte der bösen Hexe aus Dornrösschen herzlich wenig (Maleficient), zum anderen mach ich nach "Deliver us from Evil" sicherlich kein Auge zu in meinem wiedermal äusserst gemütlichen Motelzimmer. Da hör ich doch lieber dem Streit des Päärchens nebenan zu - dann kann ich mir direkt auch noch die Jerry Springer-Show sparen.