Jeder Kilometer zählt!

Über 75 Sponsoren haben für jeden von mir gefahrenen Velokilometer in den USA 1 Rappen an Tixi gespendet. Herzlichsten Dank!

California at last

06./07.09. - Mit Sonnenbrand Richtung Lake Tahoe

Meinen gestrigen, spontanen Extratag hab ich am Donner Lake verbracht. Der kleine See liegt etwa 10 km vom Truckee Hotel entfernt und ist umgeben von Wald, einem Campingplatz und vielen schönen Holzhäusern. Die meisten Häuser hier sind Ferien- und Wochenendbleiben. Und den Namen nach, scheinen viele Besitzer Schweizer oder Deutsche Wurzeln zu haben. So heisst ein Chalet 'Haus zur Biberbucht' und eine andere Unterkunft hat die Wappen der Kantone Uri und Schwyz am Balkon festgeschraubt. Immer wieder begegnete ich Radrennfahrern und Joggern. Seit Chicago habe ich nicht mehr so viele Sportler auf einem Haufen gesehen. So verbissen wie die meisten dreinschauten, trainierten viele wohl auch für den Ironman, der am 21. September am und um den Lake Tahoe stattfindet. Der Tag am See war wunderbar erholsam. Leider war ich mit dem Auftragen von Sonnencreme etwas fahrlässig. Die Quittung ist ein deftiger Sonnenbrand am Rücken, Bauch und den Oberschenkeln. Also eigentlich alles, was die letzten 10 Wochen von meinen Velokleidern von den bösen UVB-Strahlen geschützt wurde... Auf dem Nachhauseweg legte ich noch einen kurzen Zwischenstopp in einem Tattoo-Shop ein. Keine Angst – es gab weder einen Anker auf dem Oberarm noch ein Fröschli im Dekolté. Was ich brauchte, waren Plastikhandschuhe. Für meinen Platten Nr. 5 gingen meine letzten zwei drauf und 'Smokey' konnte mir mit drei neuen Paaren aushelfen. Natürlich hoffe ich, dass ich sie bis San Francisco nicht mehr brauchen werde. Fürs Abendessen zogs mich wieder ins Ristorante Pianeta. Ich wollte unbedingt nochmals diesen Caprese-Salat mit der himmlischsten Pesto, die ich je gegessen habe. Und heute gehts nun definitiv weiter Richtung Tahoe. Ich werde dort zuerst an die North Shore fahren. Nadine hat diesen Juni einige Wochen in der Gegend, in Incline Village, verbracht und mir einen Besuch dort empfohlen. Es soll das Beverly Hills von Lake Tahoe sein. Na dann nix wie hin mit meiner Klapperkiste. Kings Beach heisst der Ort, in dem ich übernachten werde. Dieser liegt zwei Dörfer vor Incline, denn in Incline Village selber gibt es eigentlich nur Villen, grosse Häuser und das Hyatt. Die Fahrt von Truckee nach Kings Beach ist nur rund 40 km lang und so komme ich bereits kurz nach 13.00 dort an. Der Weg dorthin ist eine wahre Freude – mal abgesehen vom vielen Verkehr auf dem Highway 89 und dem Gegenwind bis Tahoe City. Ich fahre dem Truckee River entlang, dessen glasklares Wasser idyllisch vor sich hinplätschert. Kurz nach dem Abzweiger nach Squaw Valley, dem Austragungsort der Olympischen Winterspiele 1960, beginnt ein Bikeway. Dieser führt unmittelbar an dem besagten Fluss entlang, weg von Autos und Töffs. Nur tonnenweise gestählte und nett anzuschauende Ironman-Aspiranten und Sonntagsfahrer mit Beach Cruisern und Starbucks-Cups im Bidonhalter. Ab Tahoe City hört der Veloweg auf und es geht weiter auf der State Route 28 Richtung Norden. Überall säumen schöne Häuser die Strasse und ich könnte mir selber auch gut vorstellen, hier mal länger bleiben zu wollen. Man hat Berge, Wälder, einen riesen See mit Kies- und Sandstränden, nette Shops und Restaurants, Skigebiete im Winter und irgendwie herrscht hier überall Ferienstimmung. Ich bin hellbegeistert von diesem Flecken Erde. Und auch die Leute scheinen so nett hier. Die Dame an der Reception des Ferrari's Crown Motels upgraded mich dann auch noch, als sie mein Fahrrad mit Gepäck sieht. Ich bekomme ein grösseres Zimmer mit Kitchenette und Futon für den Preis eines Standardzimmers. Wirklich sehr freundlich von ihr. Als ich daran bin, mein Gepäck vom Fahrrad zu hieven, beginnt ein älterer, schnauztragender Herr ein Gespräch mit mir. Scotty heisst er und gehört zur erweiterten Betreiberfamilie. Er lebt anscheinend während des Winters auf Maui, wo er ursprünglich her kommt, und den Sommer verbringt er hier am Lake Tahoe. Das könnt ich mir also auch gut vorstellen… Ich lade nur gerade meine Taschen ab, um danach Richtung Incline Village zu fahren. Scotty gibt mir noch einen Tipp für einen Lunch-Stopp hier in Kings Beach, den ich auch gerne befolge. Der Diner liegt nur gerade zwei Kilometer vom Motel entfernt und ich setze mich in den herzigen Garten. Kaum habe ich bestellt, steht Scotty neben mir. Er habe zufällig mein Fahrrad gesehen und habe sich gedacht, er schaut mal vorbei. Wir unterhalten uns nett über meinen Trip, Familien, Beziehungen und was das Leben sonst noch so zu bieten hat. Ich erfahre unter anderem, dass seine Frau mit 38 Jahren beim Schwimmen ertrunken ist. Ein harter Schicksalsschlag, denke ich mir. Vielleicht auch der Grund, dass er nie wieder geheiratet hat. Denn wie ich inzwischen rausgefunden habe, sind die Amis normalerweise schnell mit heiraten. Kurz nach halb Drei verabschiede ich mich dann und radle Richtung meinem Ausflugsziel. Dabei überfahre ich einmal mehr die Grenze nach Nevada. Bemerken tu ich das nur, weil auf einmal eine Reihe von kleinen Casinos auftaucht. Incline selber besteht dann vor allem aus Villen, die sich links und rechts des Lakeshore Boulevard aneinanderreihen. Am einzigen Strand, den ich auf meinem Weg entdecke, kommt man nur als Einwohner des Orts rein. Schade, aber mit meinem Sonnenbrand wär das wahrscheinlich sowieso eine schmerzhafte Erfahrung gewesen. Also radle ich nach einem kurzen Stopp bei Starbucks wieder zurück nach Kings Beach. Es ist inzwischen 17.00, also genau die richtige Zeit für mich und meinen verbrannten Torso, um uns nochmals an die Sonne zu wagen. Das tolle am Motel ist, dass es einen Pool hat und direkt an einem Sandstrand liegt. Es ist wirklich wie Ferien am Meer. Einfach ohne das lästige Salz im Wasser. Scotty hat sich auch wieder zu mir gesellt und lädt mich morgen auf ein Frühstück und eine Erkundungsfahrt in der Gegend ein. Auf meinem bequemen Liegestuhl beschliesse ich kurzerhand, einmal mehr einen Tag anzuhängen. Dann werde ich halt in Nappa einen einsparen müssen. Aber Alkohol ist sowieso schädlich. Na dann: Auf einen weiteren Tag am 'Meer'.

08./09.09. - Platten Nr. 6 und nur noch 5 Tage bis San Francisco

Den gestrigen Tag hat mich Scotty in seinem Auto von Kings Beach bis Emerald Bay gefahren. Das ist eigentlich ein Grossteil der heutigen Velostrecke, aber es war nett. Wir hatten ein leckeres Frühstück im Fire Sign Café, einem der Top-10 Frühstücksrestis am Lake Tahoe. Dem entsprechend war die Menschenmenge vor und um das kleine Häuschen gross. Wieder mal die Frage, ob es sich lohnt, 30 Minuten für ein angeblich ausserordentliches Frühstück zu warten. Am Schluss schmecken die Eier überall etwa ähnlich... Aber es war schön, draussen sitzen zu können. Wir fuhren am Filmschauplatz von Godfather II vorbei. Fleur du Lac heisst das 22 Condominium umfassende Grundstück heute. Erbaut wurde es ursprünglich von Henry Kaiser in 1930, ein Industrieller, der wegweisend im Bau des Hoover Damms war. Leider kann man das ehemalige Wochenendhaus von Michael Corleone (Al Pacino) von der Strasse aus nicht sehen. Kurz vor 17.00 waren wir wieder zurück im Motel und ich setzte mich am Kings Beach in den Liegestuhl, um die wärmende Abendsonne noch etwas zu geniessen. Dank des starken Windes gab es einige geübte Kitesurfer zu beobachten. Es erinnerte mich an meine Kite-Ferien mit Isi in Fuerteventura und Tarifa vor zwei respektive drei Jahren. Leider bin ich nie auf einen 'grünen Zweig' gekommen. Aber es machte Lust, es nochmals zu versuchen. Ich beschloss, auf meiner Asienreise an einem geeigneten Anfängerspot das Ganze nochmals zu versuchen. Falls ichs dann nicht packen, muss ich mich mit meinem fehlenden Talent wohl abfinden. Für Dinner machte ich mich nochmals auf den Weg zu Jason's Grille & Bar, gleich zwei Häuser weiter. Als ich über den Parkplatz lief, sah ich Scotty in seinem Auto sitzen. In dem Moment, da ich vorbeilief, stieg er aus seinem Honda und schloss sich mir an. Ehrlich gesagt, war mir das etwas zu viel und ich bekam langsam das Gefühl, dass er mir auflauert. Aber ich konnte nicht Nein sagen. Dem enstprechend ass ich zügig mein Nachtessen und wir machten uns eine Stunde später wieder auf den Rückweg. HeuteMorgen kommt dann prompt eine SMS um 08.30, ob ich frühstücken wollte. Ich schreibe kurz zurück, dass ich im Motel essen will und bald abfahren zu können. Und natürlich taucht er ein paar Minuten später dort auf. Das ist mir echt zu viel und wird langsam unangenehm. Ich gebe mich wortkarg und verabschiede mich nach meinem Bagel und einer Schale Cheerio's kurz und schmerzlos. Zurück in meinem Zimmer packe ich fertig und will beginnen, mein Velo zu beladen. Da bemerke ich Platten Nr. 6, am Hinterrad. Super Start in den Tag! Ich demontiere das Rad und finde keinen offensichtlichen Übeltäter. Nur eine etwas rauhe Stelle im Reifen, die ich mit etwas Schmiergelpapier verschwinden lasse. Ein Loch im Pneu finde ich nur mit Hilfe der 'Wassermethode' - und das ist dann auch mikroskopisch klein. Um 10.00 kann ich dann endlich abfahren. Eine schöne Überraschung ist dann die Abrechnung: Ich zahle für die beiden Nächte im grösseren Zimmer nur den Preis des ursprünglich gebuchten Standardzimmers. Das heisst 85 USD statt 135 USD. Ich muss unbedingt im Tripadvisor einen super Review schreiben. Meine nächste Mission ist, in Tahoe City beim Olympic Bike Shop vorbeizugehen, um einen neuen Hinterreifen inklusive Pneu zu kaufen. Auf wenn es nur noch fünf Tage bis San Francisco sind - ich will die verbleibende Zeit nicht jeden Morgen aufstehen und als erstes gleich Flickzeug und Pumpe bereithalten müssen. Der Velomech in dem Laden nimmt sich mir sofort an und montiert mir in Windeseile den neuen Reifen samt Pneu. Er gibt mir auf die 35 USD sogar noch einen Rabatt von 5 USD. Der Grund: Er ist selber früher Touren gefahren und findet es eine tolle Sache. Ich freu mich riesig und bedanke mich überschwenglich. Der Ärger von heute Morgen ist nun definitiv verflogen. Ich will auf Google unbedingt einen super Review schreiben. Kommt auch auf meine Todo-Liste für heute Abend. Weiter geht es Richtung Süden. Die Strecke ist toll. Es gibt über lange Zeit einen Veloweg, teilweise dem See entlang, teilweise im Wald. Das ist vor allem auch praktisch, weil im Moment gerade viel 'Road construction' betrieben wird. Kurz vor Emerald Bay, nachdem es deftig den Hügel rauf ging, halte ich auf der anderen Strassenseit, um etwas Wasser zu trinken und die Aussicht auf die schöne Bucht zu geniessen. Da kommt mir ein hagerer, mittelalterlicher Herr schnaubend und schwitzend entgegen. Er hält ebenfalls an und kurz darauf, sehe ich die nächsten Senioren den 'Stutz' hinaufkriechen. Dem ersten Herrn hab ich bereits kurz mein Unterfangen erklärt und nun ruft er jedem seiner Kollegen schon von weitem zu: "Hey, you got to listen to this!" Es werden Fotos gemacht, Scherze ausgetauscht und Tipps weitergegeben. Einige der im ganzen 10-Mann zählenden Truppe kommen aus Sacramento. Sie empfehlen mir, unbedingt dem American River Bike Trail zwischen Folsom und Sacramento zu folgen. Werd ich machen, liebe Männer! Kurz darauf geht es auch schon wieder weiter. Für mich jedoch nur ein paar Meter weiter runter bis zum Aussichtspunkt auf Emerald Bay. Dort mach ich meine Lunch-Pause und geniesse den Ausblick auf die schöne Smaragdbucht. Den Rund 1.5 km langen Pfad runter zum Ufer nehm ich dann nicht unter die Füsse. Zu gross ist mir das Risiko, dass irgendwas von meinem Velo verschwindet, während ich mich am Sandstrand dort unten vergnüge. Ich bin inzwischen hypervorsichtig geworden, aber es ist mir lieber so, als dass ich auf den letzten Meilen nochmals einen Polizeirapport ausfüllen und das heulende Elend erleben muss. Es sind nun nur noch ein paar Tage bis San Francisco. Ich bin froh, wartet Sara mit Dani dort auf mich. Ansonsten würd ich glaubs in eine tiefe Depression verfallen. Viel zu schnell ist die Zeit vergangen und ich würde nur zu gern noch ein paar Wochen anhängen - mit meinem 'alten' Velo jedoch...

10.09. - Suche Stelle als Velo-Mechaniker. Beste Qualifikationen vorzuweisen!

Ich beginne meinen Tag mit einem herzhaften Frühstück. Gleich über die Strasse liegt Heidi's Family Restaurant. Zwar ist die Deko nicht ganz authentisch - Farben verschiede-ner Kantonswappen sind kreuzfalsch und das Schild beim Eingang sagt 'Wilkom' - aber das Omlette und die Bedienung machen das wieder wett. Ich muss an meine Mutter denken. Hier hätte es ihr sicherlich gefallen. Und ausserdem ist es das Aargauer Wappen - couldn't care less :) Kurz nach 09.00 geht es auf den Highway 50 Richtung Placerville. In Nevada trägt der Highway den Beinamen 'Loneliest Road in America'. Hätte ich nicht den Zug in Salt Lake nach Reno genommen, wäre dieser Abschnitt meine Route gewesen... So komme ich doch noch in den Genuss der US 50. Doch erstmal ist Leiden statt Genuss angesagt. Es geht von 1'900 M.ü.M rund 350 Meter in die Höhe auf den Echo Summit. Auf 2'250 M.ü.M. liegt zugleich auch der höchste Punkt des Highway 50. Danach geht es über 45 km bis auf 960 M.ü.M. runter. Ich war schon seit vielen Wochen nicht mehr unter 1'000 M.ü.M. Es geht spürbar Richtung Pazifik. Nach Pollock Pines führt mich mein GPS vom Highway 50 weg auf den Pony Express Trail. Es handelt sich dabei tatsächlich um eine Teilstrecke des legendären Postkurierdiensts. Der Pony Express war quasi der Vorreiter von Fedex & Co. Die Reiter mussten damals unter 18 Jahre sein, durften nicht mehr als 60 kg wiegen und mussten Willens sein, täglich mit dem Tod zu rechnen. Waisenkinder wurden bevorzugt. Der legendäre Buffalo Bill soll mit nur 14 Jahren ebenfalls im Dienst des Unternehmens gestanden haben. Mit der Erfindung des Telegrafen verlor der Dienst jedoch schon nach kurzer Zeit an Bedeutung. Auf eben diesem Trail bewegen ich und mein Drahtesel uns heute Richtung Placerville. Die Umgebung verändert sich zusehends. Apfelhaine, Hügel mit Reben und Weihnachtsbaum-Plantagen säumen immer mehr die Strasse. Ich mache halt bei den Boa Vista Orchards in Apple Hill. Hier gibt es gleich an der Strasse tonnenweise Äpfel, Birnen, Pfirsiche und Pflaumen zu kaufen. Ich decke mit einer Ration Vitamine für meine morgige Strecke nach Sacramento ein und binde mir den Sack auf den Gepäckträger. Nachdem es bei Kilometer 65 nochmals kräftig hoch ging, führt die Strasse über die letzten 15 km stetig talwärts. Ich bin mit fast 30 km/h unterwegs, als ich einen Kontrollblick auf meinen Früchtesack werfe. Der ist etwas nach unten gerutscht und ich beginne daran zu ziehen - immer noch nach hinten schauend. Auf einmal beginnt es zu holpern und ich stelle mit Schrecken fest, dass ich in den mit Ästen, Steinen und Dreck gefüllten, engen Strassengraben hinein gefahren bin. Ich versuche krampfhaft, wieder Richtung Strasse zu steuern, aber mit meinem Tempo muss ich vor allem sehen, dass ich nicht hinfalle oder in den Zaun zu meiner Rechten krache. "Scheisse, scheisse, scheisse, usw." brülle ich während des ganzen Höllenritts. Wie durch ein Wunder befinde ich mich nach etwa 20 Metern wieder auf der Strasse. Noch ein paar Meter mehr und ich halte in einer Einfahrt zu einer Farm. Mein Herz klopft wie verrückt. Vor meinem geistigen Auge habe ich mich schon kopfvoran im Zaun stecken sehen - und Schlimmeres. Ich schimpfe innerlich mit mir selber. Jetzt hab ichs soweit mit nicht mehr als ein paar Kratzern und Mückenstichen gebracht. Und wegen einer Birne, einer Pfirsich und zwei Pflaumen setze ich das alles aufs Spiel! Kurz vor 16.00 komme ich dann unversehrt und mit einem Schrecken in meinem Motel in Placerville an. Meine Unterkunft, das National 9 Inn, liegt wie so oft vor dem Ortszentrum. Deshalb plane ich, später für das Nachtessen in das Städtchen zu fahren. Placerville hat während des Goldrauschs eine wichtige Rolle gespielt und wurde in der Zeit zur dritt grössten Stadt in Kalifornien. Hangtown war der Name damals - den Grund kann man sich vorstellen. Es soll viele historische Gebäude geben, die den Ort sehenswert machen. Als ich kurz vor halb Sieben mein Velo aus dem Zimmer stossen will, bemerke ich... genau: Einen weiteren Platten. Nr. 7 befindet sich im vorderen Reifen, den ich gestern nicht auswechseln liess. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zu letzt. Einmal mehr heisst es: Handschuhe montieren, Rad rauslösen, die Wurzel des Übels eruieren und ausmerzen, Schlauch flicken, wieder in den Pneu einsetzen, aufpumpen, schwitzen, Rad wieder einsetzen, festschrauben und hoffen, dass es das jetzt war. Ich habe genau noch einen Patch. Ich lass es drauf ankommen. Erst wenn der aufgebraucht ist, kauf ich einen neuen Reifen. Was ein nicht unwahrscheinliches Szenario ist, da der Grund für den Platten heute ein Holzsplitter war. Ja, der Reifen ist in einem wirklich üblen Zustand... Der Ausflug ins Dorf lohnt sich dann auch - es ist wirklich schön anzuschauen und es für einmal sogar Leute nach 19.00 auf der Strasse. Das bin ich mir von so kleinen Ortschaften nicht gewohnt. Auf dem Weg nach Hause mach ich noch im Dollar Tree Halt. Bis anhin hab ich es nie in diesen Laden, wo alles 1 USD oder weniger kostet, geschafft. Da er jedoch unmittelbar vor dem Motel liegt, wage ich einen Abstecher. Es ist wirklich unglaublich, was man hier alles für einen Dollar erhält: Vom Schwangerschaftstest über die Spaghettisauce bis hin zum Jumbo-Pack Frühstücksflocken gibt es Alles. Nur keine frischen Produkte. Ich kaufe mir ein neues Deo und ein paar Rasierklingen für kein Geld. Das Deo hab ich bitternötig: Im Motel angekommen mach ich mich nochmals an meinem Velo zu schaffen. Ich demontiere den Veloständer, der sowieso noch nie von Nutzen war und sich inzwischen so gelöst hat, dass er an die Pedale anschlägt. Weiter muss ich das Kabel der hinteren Bremsen anziehen. Bei der Abfahrt nach Placervill Downtown hat sie faktisch gar nicht mehr gebremst. Wenn das so weitergeht, kann ich mich am Ende meines Trips beim Velo Elsner im Seefeld für eine Mechaniker-Stelle bewerben...

11.09. - Mit neuem Reifen auf dem Weg in die Hauptstadt

Das mit dem Velo-Mech-Job vergessen wir ganz schnell wieder. Als erstes heute Morgen um 07.30 checke ich den vorderen Reifen, den ich gestern flicken musste. Er ist schon wieder halb platt. Es ist echt zum Haare raufen. Der Entschluss, einen neuen Reifen plus Schlauch aufzutreiben, ist schnell gefasst. Zum Glück hab ich gestern auf dem Weg ins Dorf den Placerville Bike Shop gleich ein paar Strassen weiter entdeckt. Leider öffnet der erst um 09.30. Ich wäre gerne früh aufgebrochen, da die Temperaturen heute über 35°C steigen werden. Also lass ich mir Zeit mit packen, gehe ins Golden Waffle House über die Strasse frühstücken. Um 09.15 steh ich dann doch schon vor dem Laden. Glücklicherweise kommt zugleich eine blonder, bärtiger Mann, um die Tür aufzuschliessen. Jeff nimmt sich meiner gleich an und beginnt den Reifen auszuwechseln. Er bemerkt, dass die Bremsklötze in einem erbärmlichen Zustand sind, ausserdem ist einer verkehrt montiert worden. Ich mache ihm klar, dass ich nicht noch mehr Geld in das Velo investieren möchte, da ich es nur noch ein paar Tage brauchen werde. Er hat Erbarmen mit mir - oder fürchtet um meine Leben - und offeriert mir die Teile, inklusive Arbeit und ein neues Bremskabel vorne. Er und sein Bruder Andrew sind wirklich unheimlich freundlich und geduldig. Nach rund einer Stunde ist alles fertig und Andrew hat mir noch eine Karte gezeichnet, wie ich am besten auf einen naheliegenden Bike Trail komme. Die Sonne brennt schon unerbittlich vom Himmel, als ich losfahre. Und es wird nicht besser. Immer wieder spühre ich auf einmal heisse Luftmassen, die mich für den Bruchteil einer Sekunde umgeben und dann wieder weiterziehen. Es ist fast wie in der Finnischen Sauna, wenn einer beginnt das Badetuch zu schwingen - muss das sein? In Folsom fahre ich am berüchtigten Folsom Prison vorbei, wo Johnny Cash 1968 sein Live-Album At Folsom Prison aufgenommen hat. Kurz danach gehts auf den American River Trail, der mir von den zehn alten Herren auf Rädern am Lake Tahoe empfohlen wurde. Auf der 84 km langen Strecke nach Sacramento halte ich drei Mal an Tankstellen, um mir ein kühlendes Getränk zu genehmigen und mich abzukühlen. Bei meinem letzten Stopp spricht mich der ältere Service-Mann des Soda-Automaten auf meine offensichtliche Velotour an. Was er aber eigentlich will ist, mir seine Narben am Schlüsselbein zeigen, die von einem Fahrradunfall stammen, den er wohl vor etwa 100 Jahren hatte. Danke, genau was ich jetzt brauche... Ich rette mich irgendwann aus dem nicht endend wollenden Monolog - sprich ich laufe einfach Richtung Kasse. Vor dem Eingang mache ich mich parat für die Weiterfahrt, als er schon wieder neben mir steht. Als er erfährt, dass ich aus der Schweiz bin, erzählt er mir von seiner im März anstehenden Reise ins Land von Heidi, Käse und Schokolade. Seine indonesische Frau hat diese 10-tägige Tour gebucht. Er hat das Gefühl, er wird die zehn Tage gemütlich in der Schweiz rumgondeln und das Matterhorn sehen. Ich bin 99% sicher, dass dies eine dieser Stop-and-Shop-Touren durch Italien, Schweiz, Deutschland und Frankreich sein wird: Ein Tag hier, ein Tag dort. Genug oft haben mir Leute in den letzten Wochen genau von solchen Trips erzählt. Aber ich bin sicher, ihm wirds gefallen. Er fragt mich noch, ob er im März auch Sommerkleidung mitnehmen soll. Nope! Better bring a really warm coat along... Irgendwann befinde ich mich dann doch wieder auf der Strasse Richtung Sacramento. Ich bin froh, als ich kurz vor 18.00 endlich im Motel in Downtown ankomme. Es ist immer noch unerträglich heiss und in den Strassen der Stadt kühlt die Luft kaum ab. Als ich mich frisch geduscht um 19.00 auf den Weg zum Capitol mache, bin ich in kürzester Zeit wieder durchgeschwitzt. Auch jetzt, um 22.30, ist es noch 25°C. Man könnte nicht meinen, dass es bald Mitte September ist. Die Wettervorhersagen für die Region sagen sogar noch höhere Temperaturen fürs Weekend voraus. Glücklicherweise wird es in Napa und San Francisco etwas kühler sein. So will ich mich morgen wieder früh auf den Weg machen. Sollte möglich sein mit meinen zwei neuen Reifen... 

12.09. - Erschöpfung und Seelenheil

Gleich vorweg: Der heutige Tag hat die Top 3 der anstrengendsten Tage ohne Probleme geschafft. Ich hätte nicht gedacht, dass mich die drittletzte Etappe noch so zermürben könnte. Tja, so kann man sich irren. Angefangen hat der Tag schon etwas unerfreulich. Als ich auschecken wollte, nachdem ich mein Velo endlich in den kleinen Lift im zweiten Stock gezwängt hatte, kam mir der junge Inder in Socken an der Eingangstür des Offices telefonierend entgegen. Er war besorgt, dass der Lenker meines Velos, das ich an die Aussenwand der Reception gelehnt habe, den makellosen Klebeschriftzug beschädigen könnte. Ich konnte nur den Kopf schütteln. Der sollte lieber mal sehen, dass er einen anständigen Kundenservice bietet. Gestern bei meiner Ankunft kam er bereits halbangezogen aus dem Hinterzimmer. Während er ans Desk schlurfte, stopfte er sich sorglos sein Hemd in die Hose und schloss seinen offenen Gurt in aller Seelenruhe. Netter Empfang, dachte ich mir da noch. Aber das Ganze scheint System zu haben, musste ich heute Morgen feststellen... Um Zeit zu sparen, machte ich für Frühstück und Lunch-Shopping bei Safeway in West Sacramento Halt. Um 10.30 gings dann weiter. Bereits wieder heiss und mit viel Potenzial nach oben. Meine Navigation stellte sich ausserdem wieder einmal als Herausforderung heraus. Die Strecke Sacramento-Napa hatte ich in der Schweiz noch auf Bikemap.net abgespeichert. Die Info dort besagte 118 km und 810 Höhenmeter, Streckenführung eher nördlich der Interstate 80. Als ich sie gestern mit dem Garmin Online Tool verglich, zeigte mir dieses eine komplett andere Strecke an: 108 km, viel weniger Höhenmeter, teilweise unterhalb der I-80. Das GPS-Gerät hatte wie immer viel zu wenig Kilometer auf dem Bildschirm: 67, was total unrealistiscch ist und wenig hilfreich. Dann gabs noch Google-Maps, dessen Strecke sich plus minus mit der Garmin Online Version deckte. Da ich das iPhone nicht über längere Zeit als GPS benutzen kann, lud ich die Garmin Online-Version auf mein GPS. In der Hoffnung, dass dann alles 'bullet proof' sei. Leider war dem nicht so. Das GPS versuchte mich wieder auf irgendwelche Sandstrassen zu manövrieren und bei jeder kleinsten Abweichung der vorgegebenen Strecke, piepste das Ding wie verrückt. Ein paar Mal musste ich das iPhone zum Abgleichen hervorkramen und mir einen Schattenplatz suchen, damit ich in der gleissenden Sonne nicht Eins mit dem Strassenbelag wurde. Es war unerträglich heiss in der Ebene zwischen Davis und Fairfield. Ich fühlte mich wie die vertrockneten Sonnenblumen auf den Feldern, die mit lampenden Köpfen auf die Ernte zu warten schienen. Was noch erschwerend dazu kam, war ein Gegenwind, der mich noch mehr Energie kostete. Ich pedalte mich von einem 7 Eleven zum anderen. Um 16.00 hatte ich immer noch 40 Kilometer vor mir und meine Moral begann stetig und schnell zu sinken. Ich kam einfach nicht vom Fleck! Kurz vor den letzten 20 Kilometern war ich mental und körperlich wirklich am Ende. Mein rechter Unterschenkel hatte angefangen unangenehm zu kribbeln und das Taubheitsgefühl, das ich seit drei Tagen in meinen beiden kleinen Fingern verspührte, verstärkte sich zunehmends. Ich schluchzte auf der Strasse vor mich hin, kurz davor Rotz und Wasser zu heulen... Jack war meine Rettung - Jack in the Box. Gerade vor der Auffahrt auf den Highway 12 Richtung Napa erschien er mir. Ich setzte mich in das kühle Restaurant und bestellte mir Burger, Smoothie und einen halben Liter Eistee. Es war inzwischen 18.00 und ich wollte gar nicht mehr gehen. Aber es waren noch 20 Kilometer und ich musste zusehen, dass ich vor dem Eindunklen in meinem AirB&B ankäme. Meiner Gastgeberin, Yesenia, hatte ich gestern mal zwischen 17.00 und 18.00 Ankunftszeit angegeben... Schön wärs gewesen! Ich hatte sie inzwischen informiert, dass es etwas später werden könnte. Kurz nach 19.00 hatte ich es dann geschafft! Yesenia hatte liebenswürdigerweise Tee vorbereitet und irgend ein Elektrolyten enthaltendes Pulver bereit gestellt. Stellte sich heraus, dass eine Dusche und der Tee genug waren, um mich wieder auf den Damm zu bringen. Nach etwas Small-Talk mit meiner Gastgeberin, machte ich mich dann auf den Weg nach Downtown. Ich wollte unbedingt noch raus und in einem Café meinen Bericht schreiben, Fotos runterladen und etwas von der Stadt bei Nacht sehen. Kaum aus dem Haus, laufe ich zwei jungen Mormonen in die Arme. Hatte ich es in Salt Lake geschafft, nicht einmal auf mein Seelenheil angesprochen zu werden, darf ich mich jetzt in Napa damit auseinandersetzen. Eigentlich will ich einfach weiterlaufen, aber die beiden Jungs sind hartnäckig und ich kann ja bekanntlich nicht gut Nein sagen. Elder Heil und Elder Niemann interessieren sich für meinen Trip und ich frage sie wiederum über ihren Missionarseinsatz aus. Als ich mich nach rund 20 Minuten verabschieden will, gibt es dann doch noch einen Versuch, mit mir über Gott und das Leben zu diskutieren. "Yes, I do think about life and god once in a while and, yes, I have many unanswered questions on those topics. But I won't discuss them with you guys tonight - sorry guys", so meine Abwimmlungstaktik. Scheint zu funktionieren, denn sie fragen mich nach meiner Natelnummer und ob sie mir eine Nachricht oder Bibelverse darauf schicken könnten. Da ich meine US-Nummer nur noch eine Woche benutzen werde, bin ich freigibig - klar doch! Jetzt sitze ich hier im Starbucks an der 1st und Main und habe bereits die erste Nachricht von den beiden eifrigen Mannen erhalten: "Hello, it's the missionaries :) Feel free to ask us any questions you have about god or life. We like talking. Hope you found the place you were looking for tonight. Heil&Niemann" Meine Antwort: "Hi there! Thanks, found the place. It was just Starbucks :) Thanks for the offer to talk. Appreciate it!" Wir wollen ja freundlich und dankbar sein. Die unmittelbare Rückmeldung: "Oh ok glad you made it. So do you ever pray along your journey for anything. Heil&Niemann" Ich hab noch nichts zurückgeschrieben. Ich kann den beiden Jungs ja nicht mitteilen, dass ich während meiner Radtour vor allem viel fluche, weils entweder wieder zu heiss, viel zu kalt, unverhätlnismässig steil, noch zu weit etc. ist... Das Beten haben auf dieser Reise vor allem andere für mich übernommen - und dafür bin ich auch ehrlich dankbar! 

13.09. - Bio-Wein und Schlangenlinien

Nachdem ich gestern nichts von Napa gesehen habe, jedenfalls nicht bei Tageslicht, mache ich mich als erstes heute Morgen auf nach Downtown. Yesenia, meine Gastgeberin und alleinerziehende Mutter einer 13-jährigen Tochter, hat mir Gott's Roadside empfohlen für eine herzhaftes Frühstück. Meine erste Nacht in einem AirBnB war überigens ganz gut. 'Ganz gut' soll heissen - nichts auszusetzen und ich durfte sogar noch meine Wäsche waschen. Aber ehrlich gesagt, bevorzuge ich ein anonymes Motelzimmer. Da muss ich nicht die Klobrille mit dem Vermieter teilen und ich muss auch nicht nach einem Hausschlüssel fragen, wenn ich Abends noch weg will. Manch einer mag fragen, wieso denn überhaupt ein AirBnB. Aus Mangel an bezahlbaren Alternativen, würd ich sagen. Es ist Wochenende und zahlreiche Weinliebhaber und sonstige Trinklustige zieht es in die Region. Bei dem schönen Wetter wie es im Moment herrscht sowieso. Es gibt hier vor allem kostspielige Ressorts und hochpreisige B&B. Und die letzten Zimmer, die auf Trivago, Swoodoo & Co. noch verfügbar waren, lagen im Bereich von 300+ USD. Wegen fehlenden Camping-Möglichkeiten in dieser Gegend präsentiert sich AirBnB als valable Option. Auch heute Abend werde ich ein solches Angebot wieder nutzen. Und zwar in Glen Ellen, nördlich von Sonoma, bei Marde. Doch erstmal beginnt der Tag wie erwähnt mit einem feinen Joghurt, Früchten und Granola sowie einem Sandwich mit Spinat und Pilzen. Danach stöbere ich noch auf dem Farmers Market auf dem gegenüberliegenden Gelände. Dort gibt es frisches Gebäck, lokales Gemüse und Früchte, zuckersüssen Honig aus der Gegend etc. etc. Am liebsten würd ich gar nicht mehr gehen. Aber das ich heute Nachmittag eine Weintour und -degustation auf dem Benziger Weingut in Glen Ellen gebucht habe, muss ich mich um 11.00 auf den Weg machen. Es geht erstmal nach Sonoma. Im Gegensatz zu Napa mit seinen 60'000 Einwohnern, ist Sonoma mit seiner Bevölkerung von rund 10'000 Leuten ein beschauliches Dörfchen. Es ist dann auch sehr malerisch, wie sich die Restaurants, Shops und Weinläden um die Plaza im Zentrum scharen. Und es gibt eine paar Strassen sogar noch einen Whole Foods Market! Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zum letzten Mal einen Laden dieser Bio-Supermarktkette auf meiner Reise gesehen habe. Chicago? Jedenfalls kaufe ich mir allerlei Leckeres für einen Lunch an den Picknick-Tischen im Schatten vor dem Laden. Als ich schon lange fertig bin und mich eigentlich auf den Weg machen sollte, fährt ein junges Päärchen auf Rennvelos an mir vorbei und hält unmittelbar in meiner Nähe. Sie sprechen Schweizerdeutsch und ignorieren mich befliessentlichst, obwohl ich sie immer wieder direkt anschaue. Und mein Velo steht neben mir... Was hat es mit den Schweizern im Ausland auf sich? Ja keinen Kontakt mit eventuell Gleichgesinnten aufnehmen. Kein Interesse an anderen zeigen und am Besten verstummen, wenn Landsleute in der Nähe sind. Ich kenne das ja teilweise auch von mir selber. Aber ich kenne keine andere Nation, die so sehr um 'Deckung' bemüht ist wie wir Bünzlis. Das gibt mir dann auch die nötige Motivation, meine sieben Sachen zu packen und weiter durchs schöne Weinland Richtung Glen Ellen zu kurven. Auf dem Weingut angekommen, gehts dann gleich auf den Traktor gezogenen Karren und ab in die Reben. Die Benziger's sind einer der noch wenigen echten Familienbetriebe hier in der Region und auch mit ihrem Bio-Wein gehören sie eher zu den Exoten. Aber mit der vielen Massenware, die in dieser Gegend zugegebenermassen produziert wird, ist dies ein Weg, sich vom Einheitsbrei abzuheben. Ist auf jeden Fall interessant und die Weiterfahrt danach auf den Hügel zu Marde beschwingt :) Abgelegen ist das richtige Wort für das Haus. Und 'hoch oben auf dem Hügel' beschreibt es auch treffend. Ich muss in Schlangenlinien die etwa ein Kilometer lange, unglaublich steile Auffahrtsstrasse hoch fahren. Anders gehts nicht - und das liegt nicht am Wein! Aber der Ausblick auf das Umland und die etwa 50 km entfernte San Pablo Bay wiegt die Anstrengung auf. Ich schlafe heute Nacht in einem Zimmerlein eines ausgebauten Schuppens respektive Garage. Das WC und die Dusche sind im Haus, so dass ich über den Gartenpfad im fast Dunklen meinen Weg suchen muss. Und kosten tut der Spass stolze 150 USD. Deshalb lieber Motels respektive Hotels :)

14.09. - I'm here!!!!!

Nach 82 Tagen quer durch die Staaten mit dem Velo, soll dies nun mein letzter Tag auf dem Sattel sein. Als wär das nicht schon Aufregung genung für mein Nervenkleid, hab ich mich gestern vor dem Schlafen gehen noch aus dem Schuppen ausgesperrt. Nach dem Zähne putzen im Haus stand ich vor einer verschlossenen Tür. Irgendwie musste ich, oder die Besitzerin, zuvor den Türknopf innen gedreht haben. Das System sollte ich eigentlich inzwischen kennen, aber ich hab es versäumt, den Knauf vorher zu checken. Und Schlüssel hatte ich nie einen gekriegt. Blöderweise war ich ganz alleine auf dem Grundstück. Marde, die Besitzerin, war irgendwo in San Rafael am Enkelkinder hüten, die hatte ich gar nie zu Gesicht bekommen. Paul, der Hausfreund, war vor etwa einer Stunde mit dem Auto weggefahren. Na toll! Ich sah mich schon auf dem Sofa im Haus mein Nachtlager einrichten... Glücklicherweise hatte ich wiedermal das Fenster offen gelassen und das Fliegengitter liess sich mit ein paar kräftigen Schlägen und festem Ziehen einfach entfernen. Leider war das Fenster über Kopfhöhe und auch nach mehrmaligem hochspringen und dem Versuch, mich hochzuziehen, landete ich wieder im Laub vor dem Schuppen. Also machte ich mich im Dunkeln im Garten auf die Suche nach etwas, wo ich draufsteigen konnte. In dem ganzen Gerümpel fand ich dann eine rostige Bockleiter, die ich Richtung Schuppenfenster schleppte. Somit konnte ich die letzte Nacht meiner Velotour in Ruhe in 'meinem' eigenen Bett verbringen. Es sollen etwa 90 km bis zur Golden Gate Bridge von hier aus sein. Ich habe eine Route gewählt, die landschaftlich zwar nicht super 'sexy' ist, aber wenigstens nich 1'080 Höhenmeter hat, wie alternative Strecke gemäss Garmin. Ein letztes Mal auf einer grossen Autostrasse, dem Highway 37, liegt heute drin. Ich bin in stetigem Kontakt mit Sara, die mit Dani heute von Carmel nach San Francisco kommt. Ich künde meine Ankunft auf ca. 16.00 an, die sich im Verlauf des Tages auf 16.45 verschiebt. Sara und Dani sind erst um 15.00 in ihrem Hotel an der Fisherman's Warf. Ich nehm es also gemütlich, verfahre mich noch ein paar Mal und komme um etwa 15.00 in Sausalito an. Dort seh ich zum ersten Mal die Stadt vor mir liegen. Es ist ein wolkenloser Tag und ich sehe gestochen scharf die Umrisse des Transamerica Buildings und Alcatraz in Mitten der Bay. Nach 16 Jahren. Der Moment ist unglaublich emotional und ich kann Tränen nur schwer unterdrücken. Zum Glück hab ich die grosse schwarze Sonnenbrille an, so dass keiner der unzähligen Wochenendbesucher am Strassenrand etwas mitbekommt. Kurz vor 16.00 komme ich dann an der weltbekannten Brücke an. Jetzt heisst es, 30 Minuten warten, bis ich mich auf die andere Seite aufmachen darf. So abgemacht mit Sara. Es windet stark und ich frag mich einmal mehr, wieso man Chicago den Namen Windy Cit gegeben hat. Um 16.30 fahr ich dann los. Ich bin auf der Pazifikseite und der Veloverkehr auf der schmalen Fussgängerzone ist immens. Touristen auf gemieteten Fahrrädern im Dutzend kommen mir entgegen, Rennfahrer überholen mich von hinten in regelmässigen Abständen. Und dann fast Punkt 16.45 komme ich auf der anderen Seite an. Sara seh ich schon von weitem, mit ihren blonden kurzen Haaren, daneben erkenne ich den gross gewachsenen Dani. Und dann hat es noch ein paar andere Leute daneben. Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich realisieren, dass Katja dort steht, mit ihrem Freund Luis und einem gemeinsamen Kollegen, Philippe. Damit habe ich nicht gerechnet! Ich beginne hemmungslos zu heulen. Wir haben vor vielen Monaten in Zürich mal darüber geredet, wie cool es wäre, wenn Katja auch nach San Francisco kommen könnte. Sie meinte damals, sie würde Luis schon dazu bringen, dass er auch mal einen Fuss in die USA setzen würde. Doch dann war ein Familienfest während der Zeit ein Thema und später ein Projekt im eigenen Geschäft. Und jetzt steht sie trotzdem da! Nachdem wir gemeinsam vor 18 Jahren ein Jahr hier gewohnt und vieles zusammen erlebt hatten. Es ist so überwältigend, nach den 82 Tagen hier anzukommen und den Moment mit vertrauten, lieben Menschen zu teilen. Das Highlight: Sara und Dani haben Velos gemietet, um zur Brücke zu fahren und mich zu begrüssen. Dani, der eigentlich sonst vornehmlich motorisierte Zweiräder fährt und Sara, die auch schon ewig auf keinem Velo mehr gesessen hat :) Jetzt versteh ich auch, wieso Sara mir vor ein paar Wochen sagte, ich bräuche kein Hotel zu organisieren. Katja & Co. haben eine Wohnung an der Sutter Street, Kreuzung Polk, gemietet für die Woche. Dort niste ich mich nun frech ein. Die nächsten Tage heisst es die Stadt neu entdecken und geniessen. Das Velo steht im Moment in der Garage unten. Ich werde es vor meiner Abreise in einem Thrift Shop vorbeibringen, damit jemand anders an dem Drahtesel weiterhin Freude haben kann. Mir hat er gute Dienste geleistet - wenn auch nicht alles reibungslos in unserer kurzen Beziehung lief...