Jeder Kilometer zählt!

Über 75 Sponsoren haben für jeden von mir gefahrenen Velokilometer in den USA 1 Rappen an Tixi gespendet. Herzlichsten Dank!

Japan - Lost in Translation

19./20.09. - Tokyo: Lost in Ueno

Nach über 17 Stunden unterwegs, bin ich kurz nach 17.00 endlich in Tokyo, Narita Airport, gelandet. Im Board Entertainment hab ich mir zum Abschied von San Francisco den Film Milk angesehen. Harvey Milk war ein Bürgerrechtler der Homosexuellen-Szene und wurde in den 70er-Jahren als erster offener Schwuler in San Francisco in den Stadtrat gewählt. Leider auch kurz darauf von einem Arbeitskollegen erschossen. Aber der Film war eindrücklich und Sean Penn hervorragend. Als Vorbereitung auf Tokyo gabs dann Lost in Translation. Und ehrlich gesagt, weiss ich gar nicht mehr, wieso ich den Film mal gut fand. Eventuell, weil er einen Oskar für das beste Drehbuch bekommen hat und Bill Murray einen Golden Globe für seine Darstellung gewann? Jedenfalls geht mir Scarlett Johansson gewaltig auf den Keks. Wie sie stundenlang gelangweilt aus dem Hotelzimmer starrt und deprimiert in der Stadt rumschleicht... Mädchen, du bist in Tokyo, denk ich mir, mach was draus! Ich jedenfalls will die nächsten drei Tage die Stadt so gut es geht erkunden, bevor es am Dienstag weiter nach Kyoto geht. Bis zu meinem Bahnof in Ueno verläuft die Reise dann auch problemlos. Für die Region Ueno habe ich mich entschieden, weil es einen Park in der Nähe hat und doch noch ziemlich zentral liegt. Zweit Stationen von Tokyo Station. Und da ich nun, ohne Velo,  wieder öfters joggen gehen will, schien mir dies ein guter Platz. Als  ich mich für einen der vielen Ausgänge entschieden habe, wirds schwierig. Hier haben nur die grossen Strassen Namen und mein Orientierungssinn war noch nie besonders gut. Ich frage beim ersten 7 Eleven nach Hilfe. Jedoch spricht der junge Kassier hinter der Kasse kein Wort Englisch. Er zeichnet mir auf der Karte den Weg ein, und zeigt in verschiedene Himmelsrichtungen. Aha... Bevor ich den Laden verlasse, hebe ich noch schnell Geld am Automaten ab. Hier in Japan gibt es ausser bei er Postbank und den Seven Banks keine Möglichkeit, zu Bargeld zu kommen. Echt wahr: Die regulären Banken akzeptieren keine ausländischen Karten. Ich mach mich danach wieder auf den Weg. Diesmal dorthin, wo ich herkam. Ich brauche ein zweites Mal Hilfe, und dann find ich das Hotel Matsumoto in einer kleinen Seitengasse. Angeschrieben ist es nur auf Japanisch. Kein Wunder bin ich daran vorbeigelaufen... Die alte Dame an der Rezeption spricht dann genauso wenig Englisch, wie der Kassier beim 7 Eleven. Ich zeige ihr meine Reservation auf dem iPhone, die ich über Agoda gemacht habe. Keine Reaktion, ausser dass sie Papier hin und herschiebt und irgendwas zu suchen scheint. Dann hat sie die glorreiche Idee, ihre Tochter oder Schwiegertochter zu rufen. Die versteht wenigstens, dass ich vorhabe, die Nacht hier zu verbringen. Ausser 'Wifi' bringt aber auch sie keine englische Silbe über die Lippen. Haben mir nicht mal ein paar Bekannte gesagt, in Tokyo sprächen die Leute wenigsten ein bisschen Englisch? Die waren wohl im Hilton oder im Intercontinental. Endlich scheint alles klar und ich kann in mein Kämmerlein im 4. Stock. Die 16 Stunden Zeitverschiebung und der wenige Schlaf im Flugzeug machen sich langsam bemerkbar. Doch ein Nachtessen lass ich mir nicht nehmen. Es ist inzwischen 19.30 als ich mich auf die Suche in der Nachbarschaft mache. Ein paar hundert Meter vom Hotel entfernt entdecke ich eine belebte Nebenstrasse, wo sich Restaurant an Restaurant reiht. All die feinen Sachen, über die ich gelesen oder noch nie davon gehört habe, gibt es hier. Die Qual der Wahl, aber ich entscheide mich für einen Ort, wo es frischen Sea Food zum selber kochen auf einem wackeligen Grill gibt. Glücklicherweise gibt es hier eine Karte mit Bildli. Denn auch hier spricht das Personal nix, nada, niente Englisch. Kosten tut der Squid mit einer Schale Reis, Spargel- und Tomatenspiess und Tee à discretion knapp 10 CHF. Wer hat eigentlich behauptet, Tokyo sei so teuer? Also fürs Essen gilt dies sicherlich nicht. Und es ist so lecker. Ich freu mich wie ein Kind auf die kommenden zwei Wochen. Es gibt nebst dem Land an und für sich, kulinarisch so viel zu entdecken und auszuprobieren. Schlemmen - und Zugfahren - ist angesagt!

21.09. - Erster Tag im Grossstadtdschungel

Natürlich bin ich bereits um 05:45 wach. Wenigstens lässt mir das genügend Zeit, meinen ersten Tag in Tokyo zu planen. Bis jetzt hab ich nämlich keinen blassen Schimmer, was mich erwartet. Einzig ein Artikel im Board-Magazin der Delta hat mir zur Stadt ein paar Ideen von Martha Stewart und Alain Ducasse beschert. Nicht sicher, ob ich die speziell originellen Tipps befolgen werde - als Erstbesucher der 9-Millionen-Metropole und mit nur drei Tagen Zeit wohl eher nicht. Ich entscheide mich für Shinjuku, Harajuku und Shibuya. Diese liegen mehr oder weniger nahe beisammen und ich kann die Stationen mit meiner Japan Rail Pass Karte erreichen. Somit erspare ich mir für den ersten Tag eine zusätzliche Metro-Karte. Shinjuku ist der Verwaltungssitz der Präfektur Tokyo, aber eigentlich bekannt als Vergnügnungs- sprich Rotlichtviertel und grösster Shoppingdistrikt des Landes. Der Bahnhof hat ausserdem eines der grössten Passgieraufkommen der Welt. Im 45. Stock auf dem Observation Deck des Metropolitan Government Building (=Rathaus) - übrigens gratis - denke ich zum ersten Mal: New York City ist das reinste Provinznest dagegen. Die Dimension der Stadt - mit seinen 35 Millionen die grösste Metropolregion der Welt - ist einfach überwältigend. Harajuku ist eingentlich auf den meisten Karten nicht zu finden, denn es gehört zur Region von Shibuya. Aber mit seinen vielen Läden und Boutiquen für vorwiegend Teenager und junggebliebene Zwanziger gilt Harajuku als eines der wichtigsten Modezentren Japans. Viele kennen die Bilder der 'Lolitas' in Schuluniformen oder sonstiger abgedrehter Figuren à la Street Parade - das ist Harajuku. Ich mag mich noch an eine CD von Gwen Stefani erinnern, wo sie diese Harajuku-Girls besingt. Dem entsprechend alt komm ich mir vor in der Masse der Mädels und oft feminimer Jungs. Zum Glück gibts hier noch ein paar andere Touristen. Die schiere Masse der Leute ist hier einmal mehr überwältigend. Wer es gerne ruhig und gemächlich hat, ist hier definitiv falsch. In Shibuya gibt es dann die bekannte Kreuzung zu sehen, wo alle gleichzeitig über die Strasse spazieren. Kommt in Lost in Translation übrigens auch vor. Dort komm ich noch zur Ehre, ein Interview für irgend einen Sender des 'Japanese TV' zu geben. Das zumindest sagt der bärtige VJ, der mich in gebrochenem Englisch darum bittet, ein paar Fragen zu meiner Erfahrung der Überquerung der Shibuya-Intersection zu geben. Wieso nicht - ich habe ja nichts besseres vor und sehen wird das ganze eh nie jemand. Er kramt einen Block mit Englischen Fragen hervor und bittet mich um meinen Input. Ob ich es als gefährlich empfunden hätte, die Kreuzung zu überqueren? Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob das eine Scherzfrage ist. Wir sind hier ja schliesslich in einem Shoppingviertel in Tokyo und nicht an einer Demo auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Was ich dabei empfunden hätte. Find ich jetzt etwas gar persönlich die Frage... Schlau sind meine Antworten nicht unbedingt, aber das liegt vielleicht auch nicht an den Fragen :) Zum Schluss fragt mich der VJ noch, ob ich Fotos gemacht hätte und ob ich diese in die Kamera halten könnte. Sure, meine ich, krame meine Kamera hervor und drücke verschiedene Knöpfe bis ich mein Prachtsfoto gefunden habe. Als nächstes kommt das Foto von der Toilette mit dem Baby-Sitz - das wollte er wohl nicht im Japanischen Fernsehen zeigen. Wir müssen beide lachen, wobei er eher beschämt. Der dachte sich wohl, was für eine perverse Touristin das aus der Schweiz sein muss... Aber als Erstbesucher in Japan gibt es unglaublich viele interessante, kleine Dinge, die für einen Lokalen einfach nur Alltag sind. Eben das mit den öffentlichen WCs zum Beispiel: Die sind immer propensauber. Egal ob im Bahnhof, im Kaufhaus oder im Restaurant. Und viele haben luxuriöse Einrichtungen wie Bidet, Babysitz und das Genialste: Einen Lautsprecher, der Wasserplätschergeräusche macht, während man sein Geschäft erledigt! Ich habe schon an einigen Orten auf dieser Welt auf einer Toilette gesessen, aber das hab ich noch gar nie angetroffen. Weiter das Anstehen: Hier muss man nicht fürchten, dass irgend ein Vollidiot es für unnötig hält, sich ebenfalls in der Reihe ganz am Schluss einzureihen. Immer wieder sehe ich geordnete Menschenschlangen vor Restaurants und Fresständen stehen oder sich entlang von Hauswänden aufreihen. Für was auch immer. Aber keiner würde sich vordrängeln - wie sympathisch. Etwas anderes ist das Rauchen: Die Japaner schlotten wie die Weltmeister, soweit ich das beurteilen kann. Es ist jedoch auf der Strasse nur in bestimmten Zonen erlaubt und auf den Gehsteigen hat es Aufschriften, die einem untersagen, während des Gehens zu rauchen. Aber in den Restaurants stehen überall Aschenbecher und die werden auch intensiv benutzt. Mir hat aber jemand gesagt, dass dies nur Abends erlaubt sei. Oder ein modischer Trend: Jugendliche tragen Hornbrillen mit Scheibenglas oder gar keinen Gläsern. Und ich mühe mich jeden Morgen damit ab, meine Tageslinsen zu montieren, damit ich das lästige Gestell zu Hause lassen kann... Das grösste Mysterium ist natürlich die Sprache. Da fange ich grad an, ein paar Regeln rauszufinden. Primär mit Hilfe der Lautsprecherstimme der Metro :) Ich gebe mir Mühe, ein paar einfache Dinge wie 'Danke' oder 'Hallo' zu stammeln. Aber für 'Hallo' alleine gibt es anscheinend mehr als drei verschiedene Formen. Je nach Tageszeit und wie gut man das Gegenüber kennt. Ach, die USA waren ja so einfach. Ein 'Hi' für Jung, Alt, Bekannt und Fremder hat gereicht. Mal sehen, wie weit ich mit meinen Japanischkenntnissen in den kommenden zwei Wochen komme... Mir graut schon, wenn ich Tokyo verlasse. Dann soll ja gar nichts mehr in lateinischen Lettern angeschrieben sein. Und keiner soll mehr Englisch sprechen können. Nicht, dass dies bis jetzt der Fall gewesen wäre...

23.09. - Ichigo Ichie

Gestern habe ich meine Sight Seeing Tour in Tokyo fortgesetzt. Zuerst gings nach Asakusa zum Senso-ji Tempel. Asakusa war früher mal das Vergnüngungsviertel von Tokyo. Jedoch wurden 1945 durch Luft-angriffe der Aliierten grosse Teile des Bezirks zerstört und im Verlaufe der Zeit hat Shinjuku diese Rolle übernommen. Askusa ist ausserdem der älteste Geisha-Distrikt von Tokyo und hat noch rund 45 aktive Geishas, die dort arbeiten. Im Vergleich zu meinem ersten Tag fand ich hier endlich mal ein paar ruhigere Strassen. Es war eine wahre Wohltat, durch enge Gässchen zu schlendern und die Ruhe dort zu geniessen. Als nächstes stand Ginza auf dem Programm, bekannt vor allem durch all die Designerlabels wie Prada, Gucci & Co., die hier ihre Shops haben. Nicht umsonst sind hier die Quadratmeterpreise so hoch wie sonst nirgends im Land. Aber wo ich mir die Zeit am liebsten vertrieb in dem Viertel, war auf dem Lebensmittelmarkt Tsukiji. Bekannt ist dort eigentlich der Fischmarkt, welches der grösste der Welt ist. Wegen des grossen Interesses von Touristen ist es inzwischen aber nur noch für 120 Personen pro Tag möglich, die heiligen Fischhallen zu betreten. Aufstehen muss man dafür früh: Registirierung vor Ort beginnt um 04:30. Da hab ich mir lieber etwas mehr Schlaf gegönnt und mich mit dem gemeinen Volk ins Getümmel des öffentlichen Markts gestürzt. Die Vielfalt der angebotenen Dinge ist einfach unglaublich. Meistens hatte ich keine Ahnung, was links und rechts gerade angeboten wurde. Und das nicht nur, weil es in japanisch angeschrieben war. Toll ist aber, dass man an fast allen Ständen irgendetwas zum Probieren findet. Und im Gegensatz zu anderen Märkten, die ich zum Beispiel in Indien oder Thailand gesehen habe, herrscht hier irgendwie eine unerklärliche Ordnung. Fast kein Abfall, es stinkt nicht, obwohl es sehr warm ist, keine Fliegen, die rumschwirren. Das mit dem Abfall ist sowieso ein Phänomen: In der ganzen Stadt hab ich glaub ich noch keinen öffentlichen Abfalleimer gefunden und doch liegt nichts in den Strassen rum. Ich musste bis anhin meine leeren Pet-Flaschen, Tüten und ähnliches jeweils in meiner Tasche sammeln, um es dann in irgend einem Laden zu entsorgen. Das ist wohl das Geheimnis - deshalb hat die VBZ wohl auch alle Abfallbehälter aus den Trams und Bussen entfernt. Zum Abschluss des Tages marschierte ich dann Richtung Ningyocho. Ich hatte gelesen, dass man hier viel des 'alten' Tokyo's sehen könnte und es viele Restaurants gäbe. Nachdem ich von Ginza bereits zum Kaiserpalast, zur Tokyo Station und weiter gelaufen war, legte ich die letzten Blocks auch noch zu Fuss zurück. Dann ging die Suche nach einem Restaurant los. Ich lief durch kleine Gässlein hindurch, bog um dutzende von Ecken und wurde lange nicht fündig. Das schwierige hier ist, dass die Restis teilweise von aussen fast nicht als solche zu erkennen sind - jedenfalls wenn man keine Japanisch lesen kann. Die Eingänge der kleinen Beizen sind oft hinter Schiebetüren oder halblangen Vorhängen versteckt und Fenster zum reinsehen gibts keine. Oder die sind auch zu. Nach langer Suche kam ich endlich an einem Ort vorbei, der mir einen Einblick von der Strasse ins Innere gestattete. Das zweistöckige Häuschen schien propenvoll. Also wagte ich mich rein und streckte meinen Zeigefinger hoch, als die Servierdüse mich fragend anstarrte. Eine Person. Sie schaute sich suchend in dem kleinen Raum um und zeigte auf einen kleinen Zweiertisch, der unmittelbar an einen Vierer anschloss. Am Vierertisch sassen bereits zwei Herren und eine Dame beim Essen und Sake trinken. OK, gab ich ihr zu verstehen. Schwuppdiwupp zog sie das Tischlein zwei Zentimeter vom Nachbarstisch weg so dass dieser halbwegs vor dem Durchgang in einen noch kleineren Raum stand. Das schien hier aber keinen zu stören. Mirnichts dirnichts hatte ich bereits nach ein paar Sekunden die Menükarte vor mir - natürlich in Japanisch. Ich schaute sie hoffnungsvoll an: "English?" Kopfschütteln war das Resultat. Na das kann ja heiter werden, dachte ich mir. Bildchen gabs auch keine. Ich schaute mich Hilfe suchend um. Dies schien so eine Art japanisches Tapas-Restaurant, wo es alles auf kleinen Platten und in Schalen gab. Glücklicherweise erspähte ich ein paar Dinge am Nachbarstisch und einen dahinter, die mir bekannt vorkamen. Ich zeigte auf eine Schale Muscheln, ein paar Fischspiesse, Edamame und Salat - und die Bestellung war erledigt. Bald kam ich mit meinen Tischnachbarn ins Gespräch. Oder besser gesagt ins Gestikulieren. Der eine Mann, Kazuhiro, und die Frau, Megumi, beide Mitte dreissig, sprachen kein, aber auch gar kein einziges Wort, Englisch. Hidetake, der Älteste, sprach ein ganz klein wenig. Sprich, Sätze konnte er keine bilden, wusste aber hier und da mal ein Wort. Rund drei Stunden sassen wir dort und verständigten uns über Hidetake, eine Übersetzungsapp von Megumi und mit Händen und Füssen. Sie erklärten mir, wie ich mit den Stäbchen am besten Fisch zerteilen kann, sie boten mir von ihrem Essen an, ich ass zum ersten mal im Leben Manta, sie spendierten mir einen Reiswein nach dem anderen, ich lernte, was Prost auf Japanisch heisst (Kanpai) und hatte bei allem einen heiden Spass. Da soll einer mal noch sagen, die Japaner seien zurückhaltend. Natürlich trug der Sake auch seinen Teil dazu bei :) Am Ende des Abends übernahmen die drei Arbeitskollegen die Rechnung  und ich teilte mir mit Hidetake ein Taxi Richtung Ueno. Das Beste dabei war, dass der Taxifahrer das Hotel nicht fand und uns irgendwann in der Gegend einfach auf die Strasse setzte. Beruhigend war für mich in dem Moment, dass ich meine Irrwege am Anreisetag nur noch halb so schlimm fand. Glücklicherweise hatte mein Begleiter ein Smartphone, das uns schlussendlich zum Hotel, das ein paar Strassen weiter lag, navigierte. Eine herzliche Verabschiedung gabs noch bevor mich, ein bisschen angeschwippst von all dem Reiswein, zum Schlafen legte. Ich versuchte mich an die Worte zu erinnern, die Kazuhiro mir aufgeschrieben hatte im Restaurant: Ichigo Ichie - Once in a life time encounter. Ja, das war es wohl. Und der Ausdruck ist so bezeichnend für die meisten meiner Begegnungen in den letzten drei Monaten. Heute geht es mit dem Schnellzug nach Kyoto. Ehrlich gesagt kommt mir bei dem Namen als erstes immer nur das Kyoto-Protokoll in den Sinn... Keine Ahnung was mich sonst so erwartet in der Stadt. Ich habe genug Zeit während der über 2.5-stündigen Fahrt mich etwas zu informieren. Ich habe gestern noch eine Broschüre und Walking-Tour-Tipps in einem Touristen Info Center in Tokyo aufgestöbert. Zumindest finde ich dank der Karte schon mal den Weg in mein Hotel. Es ist eine Art Ryokan, was so viel heisst wie Reisegasthaus. Ein Ryokan ist eigentlich ein traditionell eingerichtetes Hotel. Das heisst Strohmatten (Tatami) am Boden, Futon zum schlafen, ein Yukata (eine Art Hauskimono) für den Hausbereich, Schuhe werden im Eingangsbereich ausgezogen. Je nach Preisklasse gibt es mehr oder weniger Luxus in den einzelnen Herbergen. Ein sehr bekanntes Ryokan und gleichzeitig eines der exklusivsten Hotels der Welt ist das seit 300 Jahren und 12 Generationen traditionell betriebene Tawaraya, hier in Kyoto. Es hat 18 Zimmer und eine Übernachtung kostet umgerechnet etwa 350 Euro. Berühmte Persönlichkeiten wie Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, das Königspaar von Schweden, Marlon Brando oder Barbara Streisand haben hier genächtigt. Mein Ryokan ist da weit weniger exklusiv. Aber schlafen werd ich deswegen sicher nicht schlechter :)

24.09. - Teure Früchte und weiterhin Kommunikation mit Händen und Füssen

Seit gestern Mittag bin ich nun in Kyoto und ich kann schon jetzt sagen: Es ist ein wundervoller und eindrücklicher Ort. Die Stadt hat den Stellenwert des kulturellen Zentrums von Japan. Die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs haben fast jede Grosstadt in Japan zerstört, nur Kyoto wurde gerade wegen seiner 1'600 buddhistischen Tempeln, 400 Schreinen, Palästen und Gärten verschont. Dadurch ist es eine der besterhaltenen Städte Japans und ausserdem das Zentrum der Tee-Zeremonie, des Ikebana sowie die Geburtsstätte der klassischen japanischen Theaterkünste wie das Kabuki. Kyoto bietet also alles, was wir Touristen von Japan so erwarten würden. Wichtigster Wirtschaftszweig ist denn auch der Fremdenverkehr. Und tatsächlich kann ich schon nach einem halben Tag mehr westliche Reisende ausmachen, als in meinen ganzen drei Tagen in Tokyo. Was die asiatischen Touristen betrifft - kann ich leider nicht eine Aussage machen. Vielleicht mags auch ein ganz klein wenig daran liegen, dass Kyoto mit 1.5 Millionen Einwohnern ein Mü übersichtlicher ist wie Tokyo mit seinen 9 Millionen... Wie auch immer, die Verständigung mit der lokalen Bevölkerung bleibt auch hier eine Herausforderung. Ein kleines Anschauungsbeispiel von gestern Abend. Ich, hungrig wie ein Seebär, auf der Suche nach einem netten Esslokal. In Gion, dem hiesigen Geisha (oder wie man in Kyoto sagt 'Geiko') Distrikt, gibt es viele japanische Restaurants der gehobenen Küche, Kaiseki genannt. Das Buch Memoires of a Geisha spielt sich übrigens in grossen Teilen hier ab. Kleiner Einschub für alle weiblichen Leser. Es gab für mich zwei Probleme in dem Moment: Zuerst musste ich ein Restaurant erst mal als solches erkennen. Prompt trampte ich einer jungen Frau und ihrer Familie in den Garten, weil ich naiv dachte, das beleuchtete Tor sei der Eingang in den Vorgarten eines Fresstempels. Mir fiel in dem Moment das japanische Wort für 'Entschuldigung' nicht ein und deshalb verbeugte ich mich nur etwas hilflos, murmelte 'I'm sorry' und machte auf dem Absatz kehrt. Verbeugen ist in Japan nie schlecht. Ein spanisches Pärchen war mir gefolgt, das nun mit mir, auch leicht peinlich berührt, den Rückzug antrat. Die zweite Schwierigkeit, wenn man denn mal ein Restaurant ausgemacht hat, ist die Verständigung. Zum Einen ist die Chance gross, dass nur japanische Menükarten vorhanden sind und dazu die Preise auch nicht in arabischen Zahlen aufgeführt werden. So kann es sein, dass man ein paar Hundert Dollar für einen Mehrgänger hinblättern muss, es aber erst zu spät herausfindet. Den Schock wollte ich mir ersparen und beschloss deshalb, mir zuerst im Hotel via Internet ein Restaurant für den nächsten Abend zu suchen, das mein Reisebudget nicht gleich über den Haufen werfen würde. Auf dem Weg zurück ins Ryokan suchte ich mir dann ein nettes Restaurant. Leichter gesagt als getan. Kurz vor der Haustür und dem Hungertot betrat ich dann in einer Seitengasse ein als Restaurant erkennbares Lokal. Stilvoll und simpel eingerichtet war es. In einem separaten Raum rechts sass eine Familie gemütlich um einen grossen Tisch, vom Teenager bis zur hundertjährigen Grossmutter schien alles vertreten. Ich wurde vorbei gelotst und hatte darauf die Wahl zwischen Bar, wo bereits ein Herr mittleren Alters und eine adrett gekleidete Dame sassen, oder ein Tischchen für mich alleine. Ich entschied mich für die asoziale Variante. Die Karte war einmal mehr in Japanisch, sowohl Essen wie auch Preise. Englisch gibt's nicht, gab mir die junge Servierdame zu verstehen. Grossartig. Ich betete nur, dass ich nicht irgendwo drei Michelin Sterne am Eingang übersehen hatte. Diesmal gabs auch niemanden, dem ich auf den Teller hätte schauen können. Die junge Kellnerin holte eine ältere Kollegin zur Hilfe, die mir die Karte erklärte. Das heisst: Sie fragte mich 'Fish? Ok?' und ich sagte nur 'hai', ja. Hätte ich Fisch nicht gern – keine Ahnung, was als nächstes gekommen wär... Sie schrieb als nächstes zwei Zahlen auf einen Zettel: 4'200 und 5'500. Was in etwa 36 und 47 CHF entspricht. Ich entschied mich für die günstigere Variante. Falls das Essen eine Reinfall werden würde, hätte ich wenigstens 1'300 Yen gespart. Es wurde dann alles andere als eine Enttäuschung. Mir wurde ein schmackhafter Siebengänger vorgesetzt, für den man in der Schweiz sicherlich weit über hundert Franken bezahlen würde. Und einmal mehr fragte ich mich, warum man immer hört, Japan sei so teuer. Als Tourist finde ich hier alles billiger als bei uns in der schönen Schweiz: Essen, öffentlicher Verkehr und Unterkünfte. Klar kann man auch teuer Essen gehen, ein Fünfsterne-Haus kostet ebenfalls eine Stange Geld und für Designer-Kleider und -Accessoires muss man viel ausgeben. Aber das tut man auch in anderen Ländern. Ein paar Sachen gibt's aber tatsächlich, die speziell viel kosten: Früchte z.B. können exorbitant teuer sein. Ich habe Trauben gesehen, die gegen zwanzig Franken gekostet haben auf dem Markt. Aber anscheinend haben die Japaner ein besonderes Verhältnis zu Früchten – perfekten Früchten. Hier soll es Läden geben, wo man für eine Melone über 400 USD bezahlt. Verrückt, diese Japaner. Aber grundsätzlich muss mir ein Schweizer mal erklären, wieso Japan für uns so teuer sein soll. Sind New York, Paris und London wirklich billiger als Tokyo? Ich bezweifle es.

25.09. - Food Porn und verirrt im Dietikon von Kyoto

An meinem zweiten Sight Seeing Tag in Kyoto möchte ich mir Arashiyama ansehen, das ganz am Rande der Stadt liegt. Der Ort ist vor allem bekannt wegen seines Bambushains und war über Jahrzehnte ein Ausflugsort für die Mehrbesseren der Region. Besonders beliebt ist Arashiyama während der Kirschblütenzeit. Ich setze mich also in den 73er Bus, der direkt dorthin fahren soll und praktischerweise gleich bei mir um die Ecke fährt. Zu spät merke ich, dass dieser 73er sicherlich nicht nach Arayhiyama fährt. Also eigentlich erst an der Endstation, Rakusai, die irgendwo am äusseren Rand von Kyoto liegen muss. Das ist in etwa wie wenn ich nach Altstetten hätte fahren wollen und dann ungewollt in Dietikon an der Endstation ankomme. Und ich dachte gestern noch, ich hätte das mit dem Bus fahren voll im Griff und das wär ja ganz einfach. Ich zeige dem Busfahrer auf meinem Busplan wo ich hin muss. Leider kann er mir darauf nicht zeigen, wo wir grad sind – denn das liegt wie gesagt ausserhalb des Kyoto-er VBZ-Netz. Er kramt mit seinen weissen Handschuhen eine weitere Karte hervor, wo er mir klar machen kann, wo wir uns befinden. Tolle Sache, wird sicherlich nur nochmals 40 Minuten dauern, bis ich an meinem gewünschten Ziel ankomme. Nachdem ich schon sicherlich über 30 Minuten in die falsche Richtung gefahren bin. Aber es könnte schlimmer sein, denk ich mir. Ich könnte jetzt, in Schweizer Dimensionen gesprochen, irgendwo im Aargau sitzen. Ich buche das einfach als erweiterte Kultur- und Sight-Seeing-Tour ab und mache mich auf zum 29er-Bus, den mir der Busfahrer empfohlen hat, mit Umsteigen auf den 28er, irgendwo. Irgendwie scheint der Chauffeur des 29er's Gedanken lesen zu können. Kaum setze ich mich in den Sitz hinter dem Fahrerkabäuschen, macht er mir klar, dass ich an der Station XY auf die besagte Linie 28 wechseln muss. Meine Vermutung jedoch ist, dass ich nicht der erste, hier verlorengegangene Tourist, bin, der eigentlich weiter nördlich ankommen wollte. Was genau schiefgelaufen ist, weiss ich immer noch nicht. Die Englischkenntnisse der Busfahrer hier sind inexistent – so wie meine der japanischen Sprache. Eines der einzigen Worte das ich verstehe und selber manchmal zu benutzen wage ist 'gozaimasu', ausgesprochen 'gosaimas' – also ohne das 'u' am Schluss. Nicht das ich es mit der korrekten Aussprache und Betonung im Griff hätte. Jedes zweite Wort in den Läden und Restaurants scheint 'gozaimasu'. Eine Höflichkeitsform die z.B. nach 'Danke' oder 'Guten Morgen' angehängt wird. Und dann hört man immer wieder nur das '-masu' als Endung von Verben, um wiederum Höflichkeit und Respekt zu zollen. Und das sind noch die einfachen Dinge, so wie ich das verstehe... Da lob ich mir doch Englisch, das so eine unhöfliche Sprache scheint, im Vergleich zum Japanisch. Aber so simpel! Ich muss an meine ehemalige Arbeitskollegin bei Corum denken, Ursula. Sie war damals neben mir die zweite Angestellte des Schweizer Ablegers dieser kleinen M&A-IT-Beratungsfirma aus Seattle. Sie hatte ein Austauschjahr in Japan verbracht und hat mir damals erzählt, dass sie rund drei Monate, soweit ich mich erinnern kann, fast kein Wort verstanden hätte, geschweige denn gesprochen. Ich kann mir das inzwischen nur zu gut vorstellen. Aus dem Grund möchte ich heute Abend auch in einem Lokal essen, wo ich für einmal verstehe, was auf der Speisekarte steht. Ich befolge den Rat von Chris Rowthorn, ein Engländer, der seit langem in Kyoto lebt und den Lonely Planet Japan verfasst hat. Auf seiner Webseite InsideKyoto.com empfiehlt er für ein superbes Kaiseki-Menu das Karyo in Gion. Dort müsse man als offensichtlicher Ausländer auch keine Angst haben, dass die Angestellten gleich die Flucht ergreifen, wenn man den Raum betritt. Die Empfehlung ist denn auch hervorragend und das Essen ein wirklich einzigartiges Erlebnis. Es sind nicht nur die 10 Gänge selbst, die mit der Frische der Zutaten, der Klarheit der Geschmäcke sowie der stilvollen Präsentation überzeugen. Der Ort selber bietet ein einmaliges Ambiente. Ich sitze an einer steinernen Theke, die über zwei Seiten an einen Teil der offenen Küche grenzt. Ich kann zusehen, wie vor mir ein ganzer Thunfisch mit frisch geschliffenen Messern zu Sashimi verarbeitet wird. Daneben werden Makrelen mit dem Bunsenbrenner kurz gegrillt und mit weiteren Zutaten schön angerichtet. Eine junge Dame bereitet den ganzen Abend das Spezial Dessert von Kasyro zu: Selbstgemachtes Kaffeeglacé, das in einer leichten Mascarpone-Créme schwimmt, in der ich Blaubeeren, Himbeeren und kleine Stücklein eines Brownie-ähnlichen Gebäcks finde. Man ist mitten im Geschehen drin und obwohl ich während des ganzen Zehngängers alleine bleibe, ist mir keine Minute langweilig. Ich hatte dieses Frühjahr ein Ähnliches Erlebnis im Falken in Neuheim. Wir sind dort zu sechst, das geschlossene OK des Zürcher Jass-Derby, essen gegangen. Es gibt im hinteren Teil der Küche einen Tisch, wo man ebenfalls einen Zehngänger serviert bekommt und bei Bedarf dem Küchenpersonal über die Schultern schauen kann. Auch ein tolles Erlebnis und das Essen war mega-super-toll. Der Unterschied zu hier: Es lief alles etwas hektischer ab und die Menüs waren komplexer. Das Motto beim Japanischen Essen scheint mir generell Richtung 'Einfachheit und Ursprünglichkeit' zu gehen. Stark gewürzte Speisen scheinen eher selten. Die Zutaten sollen möglichst ihren eigenen Geschmack entfalten können. Und um nochmals auf die Japan-teuer-Diskussion zurück zu kommen. Ich habe für dieses Essen inklusiv einem Glas Sake etwas mehr als 9'000 Yen bezahlt. Das sind rund 80 CHF und somit mein teuerstes Essen hier in Japan. Aber sicherlich immer noch meilenweit von dem entfernt, was es in Zürich im Sala of Tokyo kosten würde. Den Abend werde ich nicht so schnell vergessen und auf dem Weg zum Ryokan versuche ich mich an all die Gänge zu erinnern. Unmöglich – aber zum Glück hab ich mit meinem iPhone jeden Gang abgeknipst. Food Porn eben.

26.09. - Koyasan: Übernachten im buddhistischen Tempel

Es ist kurz vor 19.00, Freitagabend, und ich sitze in meinem Hauskimono in einem Zimmer im Komyoin Tempel in Koyasan. Ja, ich übernachte tatsächlich in einem Buddhistischen Tempel in den Bergen von Japan. Andere machen sich gerade parat für den grossen Ausgang am und ich, frisch gebadet, bin mehr als parat fürs Bett sprich Futon und mein Buch The Thousand Autumns of Jacob de Zoet. Koyasan liegt Luftlinie etwa 120 Kilometer südlich von Kyoto. Auf 900 Meter über Meer wurde es vor über 1'200 Jahren von einem Mönch gegründet, um ein Zentrum für Buddhistisches Training fern ab weltlicher Einflüsse zu schaffen. Und fern ab ist es. Es hat mich fast 5 Stunden gekostet, hierher zu finden – ohne unfreiwillige Umwege diesmal. Dreimal Umsteigen stand auf dem Programm. Nachdem ich immer wieder gehört hatte, dass ausserhalb von Tokyo ja rein gar nichts mehr in westlichen Schriftzeichen angeschrieben sei, machte ich mich auf das Schlimmste gefasst. Fein säuberlich hatte ich mir in mein Notizbüchlein alle Ankunfts- und Abfahrtszeiten an jedem einzelnen Ort notiert. Damit könnte ich mich wenigstens an den Zahlen orientieren. Meine Bedenken waren völlig unnötig. Sogar an der Station der Zahnradbahn von Gokurakubashi nach Koyasan, muss der Stationsname auch noch für Analphabeten als arabische Schrift erkennbar sein. Manch einer mag sich fragen, wie ich darauf komme, hier her ins Hochland an einen Ort zu fahren, wo es auf 18 km2 ausser Wäldern, 117 Tempeln und unzähligen Mönchen nichts gibt. Die einen vermuten schon wieder einen Selbsfindungstrip oder eine Reise zu mir selbst. Nix von all dem. Der Ort war ein Tipp meines ehemaligen UBS-Arbeitskollegen Michael, einigen auch bekannt als Braumi. Er und seine Frau waren vor 15 Jahren hier und haben ebenfalls in einem der 52 Tempel, die Übernachtungsmöglichkeiten anbieten, geschlafen. Braumi hat mir von dem besinnlichen Ort erzählt und wie abenteuerlich damals schon nur die Buchung eines Zimmers gewesen sei. In der Zeit war das nur telefonisch möglich, wobei die Englischkenntnisse des lokalen Kontakts gleich Null waren – nicht ganz überraschend... Ich konnte letzten Sonntag wenigstens eine E-Mail an das lokale Tourismusbüro senden, mit Ankunftsdatum und Dauer des Aufenthalts. Wobei man maximal drei Nächte in einem solchen Tempel bleiben kann. Bei der Frage, ob ich eine Präferenz hätte betreffend Shukubo (Tempel der Möglichkeit zur Übernachtung bietet) musste ich passen. Es gibt zwar inzwischen auf Tripadvisor Reviews zu gewissen Anlagen, aber den Nerv und die Zeit hatte ich nicht. Also verliess ich mich auf den Mann (oder die Frau?) vom Tourismusbüro und dachte mir, wird schon gut kommen. Und das ist es. Ich scheine der einzige Gast hier zu sein. Zumindest ist es totenstill im Gästetrakt und auch beim Nachtessen, das es Punkt 18.00 gab, sah und hörte ich keine Menschenseele. Ausser dem Mönch, der an mein Zimmer klopfte, um mich in den Essraum zu begleiten. Auf dem Weg dorthin informierte er mich noch, dass er mein Bett machen würde: "I make bed." Was bedeutet, er würde Futon und Bettzeugs aus dem Schrank holen und diese frisch beziehen. Denn als ich nach 15.00 angekommen war, stand nur ein flaches Tischlein mit Teegeschirr und einem Keks drauf in der Mitte des Raums. Danke für die Info, ging es mir durch den Kopf. Nicht, dass der mir aber durch meine Unterwäsche geht, kommt als zweiter Gedanke. Böse, böse, böse - ich weiss. Zu meiner grossen Überraschung führte er mich in einen Raum, in dem in der Mitte fein säuberlich drei Tabletts und ein Kissen arrangiert waren. Sogar im Kloster sieht das Essen noch wie im Gourmet-Restaurant aus, dachte ich mir im ersten Moment. Auf einem der Tabletts standen ein Teekessel und –tässchen aus Porzellan. Auf den anderen beiden war mein Nachtessen in elf verschiedenen Schalen und Platten angerichtet worden. Die mit der Sojasauce den salzähnlichen, grünen Körnern nicht mitgerechnet. Diese Art von Essen heisst Shojin Ryori und ist aus Glaubensgründen strikte vegan. Ausserdem enthält ein solches Mahl immer etwas Gegrilltes, Frittiertes, Eingelegtes sowie eine Suppe und ein Tofugericht. Was da vor mir stand, davon würden mindestens zwei Personen satt, war ich mir sicher. Aber anhand des einen Kissens musste ich drauf schliessen, dass ich für mich alleine hier speisen würde. Während ich mich vor meinem Mahl arrangierte fragte mich der Mönch etwas, was sich wie "Sake obia?" anhörte. Da ich den zweiten Teil beim besten Willen nicht verstand, erwiderte ich einfach: "Sake hai". 'Hai' heisst einfach 'ja' und ist sicherlich nicht besonders höflich oder sophistiziert, aber weiter geht mein Japanisch leider nicht. Erst als er mir Minuten später den warmen Sake hinstellte, realisierte ich, dass 'obia' wahrscheinlich '... or beer?' bedeutete. Vielleicht sollte man es hier auch mal mit Übersetzungshilfen versuchen. In Kyoto habe ich es erlebt, dass die Leute mit Hilfe von Übersetzungen auf einem Blatt Papier, auf die man zeigen kann, kommunizieren. So hat mich gestern zum Beispiel eine Masseurin vor der Massage gefragt, ob ich irgendwo speziell Schmerzen hätte. Sprich die Frage stand auf einem Blatt und ich konnte dann auf die entsprechenden Körperteile verweisen. Ist doch ganz praktisch. Aber ich hätte ja sowieso Sake gewollt, und kein Bier – was solls. Und das Essen war wieder einmal toll. Ich kann kaum glauben, dass man eine solche vielzahl an aufwändig zubereiteten Speisen in einem Tempel vorgesetzt bekommt. Aber das scheint hier überall der Standard zu sein. Und dafür bezahle ich rund 10'800 Yen pro Nacht, was etwa 97 CHF entspricht. Dafür bekomme ich ein Nachtessen der Extraklasse, ein traditionelles japanisches Zimmer mit einem Mini-Fernseher, einer Thermoskanne voll Tee und Blick auf einen Zen-Garten. Das Frühstück ist auch inbegriffen, darüber kann ich aber noch nichts sagen. Das einzige was zu meinem perfekten Glück fehlt ist WiFi. Aber ich habe bei meinem Gang zur Post ein Café entdeckt, dass solches anscheinend hat. Viel gibt es hier ausser Tempeln nämlich nicht. Es beschränkt sich eigentlich alles auf eine kurze Hauptstrasse an der es, nebst der Post, mehrere Konfekt- und Souvenirshops, ein paar Gemischtwarenläden, zwei Banken, das Touristen-Informationszentrum, sowie eine handvoll traditioneller japanischer Restaurants gibt. Und eben das Café. Dort werde ich morgen nach dem Besuch von Okunoin, einem Gelände hier in Koyasan mit über 200'000 Gräbern und Monumenten, mal vorbei gehen. Meine 'Konnektivität' in Japan hat sich drastisch reduziert, im Vergleich zu den USA. Die Hotels hatten zwar bis jetzt immer WiFi, aber tagsüber gabs mit dem iPhone praktisch keine Möglichkeit, mal irgendwo ins weltweite Netz einzutauchen. Wo ich mich in den USA einfach in jeden Starbucks oder McDonald's setzen konnte und sicher sein durfte, dass ich gratis WiFi-Zugang hatte, ist das hier etwas anders. McDonald's gibt’s zwar viele, aber die haben keinen solchen Dienst. Und für Starbucks' kostenlosen WiFi muss man sich zuerst via E-Mail registrieren. Also online sein. Haha, guter Witz: Deshalb bin ich ja hier und hab grad ein Schweinegeld für einen Tee ausgegeben. Also musste ich zuerst am Abend übers Hotel-WiFi den Anmeldeprozess komplettieren, damit ich zukünftig 'gratis' WiFi bei Starbucks in Japan habe – zum Preis eines Tees pro Mal. Gutes Konzept übrigens, dass einmal mehr beweist: Nichts im Leben ist gratis.

29.09. - Die Japaner liebens Französisch

Seit gestern Sonntag bin ich in Hiroshima. Die Reise von Koyasan hierher dauerte weniger lang, als erwartet. Nur etwa 5 Stunden von Tempel- zu Hoteltür. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich in Osaka aus Versehen in den Super-Express-Zug N700A der Nozomi-Linie gestiegen bin. Der flitzt mit bis zu 300 km/h durch das Land, ist aber in meinem Japan Rail Pass nicht inbegriffen und verlangt nach einem Aufpreis. Aber dass ich überhaupt in diesem speziellen Zug sass, hab ich erst kurz vor Hiroshima gemerkt. Denn kontrolliert wurde ich bis anhin noch nie auf meinem Trip. Glück gehabt! Die Tage in Koyasan waren eindrücklich, vor allem der Friedhof mit den über 200'000 Grabsteinen und Monumenten in Mitten eines gigantischen japanischen Zedernwalds. Dort herrscht eine wahrlich mystische Atmosphäre. Das einzig Befremdliche waren, für meinen Geschmack, die Firmengräber im neueren Teil des Geländes. Da sind z.B. Panasonic und ucc coffee (mit einer Riesen-Kaffeetasse aus Marmor) vertreten. Dass da wirklich Leute begraben liegen, ist zu bezweifeln. Wahrscheinlich dienen diese eher als Gedenkstätten für ihre verstorbenen Angestellten. Gedenkstätten gibt es auch in Hiroshima, aus bekannten Gründen. Doch mystisch ist die Stimmung hier definitiv nicht. Im Museum des Peace Memorial Parks wird sichergestellt, dass der Einsatz der ersten Atombombe vom 6. August 1945 und seine Konsequenzen nicht in Vergessenheit geraten. Es wird alles mit viel Würde und Feingefühl präsentiert, Zeitzeugen erzählen berührend ihre unfassbaren Geschichten. Der Klumpen im Magen ist auch Stunden später noch spürbar. Ähnlich Schockierendes habe ich bis jetzt nur in Vietnam im War Remnants Museum von Ho Chi Minh City gesehen und damals war glücklicherweise Dani (Der Strässle) dabei. Das ist einer dieser Momente, in dem ich mir ebenfalls einen Mitreisenden gewünscht hätte. Ablenkung gibts aber unmittelbar anschliessend an den Park. Über viele Blocks sind Einkaufshäuser, Shopping-Arkaden und Strassen voller kleiner Restaurants, Cafés und hipper Boutiquen zu finden. Das ist die andere Seite von Hiroshima – die Gegenwart. Was ich hier antreffe, deckt sich mit dem, was ich bis jetzt auch in Tokyo und Kyoto gesehen habe. Ausser, dass es keinen Altstadtteil gibt. Die Japaner lieben es offensichtlich einzukaufen. Vor allem Edel-Kaufhäuser scheint es hier in grosser Zahl zu geben. Restaurants gibt es unendlich viele. Interessanterweise scheinen die Leute eine grosse Liebe zu allem Französischen zu haben. Ich habe ausserhalb von Frankreich wirklich noch nirgends so viele französische Bäckereien und Restaurants gesehen. Gegen ein Pain au Chocolat zwischendurch zum Frühstück hab ich persönlich auch nichts einzuwenden. Ist eine willkommene Abwechslung zu den Rice Balls von 7 Eleven und Schokolade macht ja bekanntlich glücklich. Heute war aber irgendwie mein Tag der unguten Gefühle. Ein weiterer Moment war beim Abendessen. Ich hatte auf Tripadvisor ein gutes Sea Food Restaurant gesucht und auch gefunden, das Guttsuri-en. Einziger Nachteil war die Lage: Im Hafengebiet, etwa 30 Minuten von der Innenstadt entfernt mit dem Bus. Aber was macht man nicht alles für einen frischen Tintenfisch und leckere Muscheln. Auf dem Weg dorthin war dann auch keine Haltestelle in arabischer Schrift angeschrieben und der Ort war auf meinem Stadtplan definitiv nicht mehr drauf. Aber mit Zeichen vergleichen und vorab google-Maps laden habe ich den kleinen Laden dann doch auf Anhieb gefunden. Jedenfalls war ich der erste Gast um 18.00 und die junge Frau des Betreibers hatte noch etwas Zeit mit mir zu plaudern. Was für einmal kein Problem war, da sie vor vielen Jahren zehn Monate in Oregon studiert hatte. Gleich zu Beginn bemerkte sie: "You are the first woman to come here alone. We sometimes have guys coming in alone – but no women." Na gut, dieses Statement kann verschiedenes aussagen. Aber auf dem Weg nach Hause hab ich im Bus Nr. 12 kurz die Krise geschoben. Manchmal können einem die Leute, meist unterschwellig, echt das Gefühl geben, etwas stimme mit einem nicht. Fakt ist, die meisten Reisenden sind in Pärchen unterwegs, oder mit Familie. Ab und zu mal ein Mann solo auf der Strasse oder im Zug hab ich auch schon gesichtet. Frauen alleine, in meinem Alter, hab ich bis jetzt so gut wie gar nicht gesehen. Auf dem Velo hat mich das eigentlich nie berührt und ich frage mich, wieso es mir jetzt auf einmal zusetzt. Vielleicht hatten auch der Sake und der spendierte Umeshu, Pflaumenschnaps, daran Mitschuld :)

01.10. - Nächtigen im Rotlichtviertel und mit Tattoo unerwünscht

Nach drei Tagen in Hiroshima steht heute Osaka auf dem Programm. Einmal mehr in den letzten zwei Wochen, nehme ich mir auf dem Weg zum Bahnhof in der Strassenbahn vor, mir so bald wie möglich einen günstigen Koffer mit Rädern zu besorgen. Diese Backpacker-Geschichte ist einfach nicht mehr altersgerecht. Ich schwitze jedes Mal mindestens drei Liter Wasser, wenn ich mir das Ding anschnallen und durch Japans Bahnhofshallen und Strassen navigieren muss. Ich verstehe je länger je weniger, wieso man überhaupt noch mit den lästigen Rucksäcken reist. Sind wir mal ehrlich: Wo wir hingehen hat es meistens akzeptable Strassen und Transportmittel wie Taxis, Busse oder Züge. Das letzte Mal, dass ich tatsächlich ein solches Mammut-Riesenteil brauchte war, als ich mit Raffi auf den Kilimanjaro bin. Und da musste ich das Ding nicht mal selber den Berg raufschleppen. Raffi übrigens auch nicht. Das waren die afrikanischen Sherpas. Ich komme kurz nach 13.00 in Osaka an und bin fast etwas überfordert. Wie immer hab ich mir gleich als erstes eine Stadtkarte beim Tourismusbüro am Bahnhof besorgt. Aber meine Erwartung betreffend Umgebung ging etwas mehr in Richtung Hiroshima – übersichtlich und nett. Was mich hier am Südausgang anlacht ist eher eine abgeschwächte Form Tokios – Gewusel hoch Zwei und Hochhäuser en masse. Wiedermal total unvorbereitet mach ich mich auf die Suche nach meinem Hotel. Hokke Club heisst das gute Stück und ist in 15 Minuten zu Fuss erreichbar. Wenn man es denn gleich auf Anhieb finden würde. Nach etlichen Umwegen komme ich durchgeschwitzt an meinem Ziel an - Rollkoffer sag ich nur. Und stelle fest, dass meine Unterkunft in einer Art Rotlichtviertel ist. Aber das Hotel ist definitiv kein Stundenhotel, soviel ist klar. Das Hokke Club weisst ein gutes Tripadvisor-Rating auf, was für Stundenhotels eher unwahrscheinlich ist. Ich kann dann an der Reception von einem Tischchen auch allerlei 'Goodies' wie Feuchtigkeits-maske fürs Gesicht oder Haarpackung auswählen und mit aufs Zimmer nehmen. Ausserdem sind Shampoo, Conditioner und Body Soap im Badezimmerchen von Shiseido. 'Schisch-was?' mögen die Herren der Schöpfung jetzt fragen. Die Damen wissen: Shiseido ist ein japanischer Hersteller von Luxuskosmetika. Das wird in einem Stundenhotel nicht angeboten – wenigstens das müssten die Herren der Schöpfung besser wissen als wir Frauen :) Ich mache mich sogleich auf, um die Gegend um den Hauptbahnhof von Osaka zu erkunden. Schon nach kurzer Zeit lege ich meine erste Pause bei Starbucks ein. Hier ist einfach zu viel los. Die schiere Masse an Leuten ist einfach erschlagend. Ich muss mich erstmal zurecht finden und bei einem Chai Latte Tea geht das einfach besser. Nach einer halben Stunde weiss ich zumindest, was ich den Rest des Nachmittags noch machen will. Ich begebe mich nach Nakazaki-cho, nur ein paar Minuten zu Fuss östlich von Umeda/Osaka-Station. Hier findet man ein gemächlicheres, alternatives Osaka. Diese Gegend wurde von der Zerstörung des Zweiten Weltkriegs weitgehend verschont und so findet man hier noch viele alte, kleine Gebäude und Gassen. In der Zwischenzeit haben sich kleine Cafés, Frisörsalons, Secondhand- und Krimskramsläden zwischen alteingesessenen Handwerksbetrieben niedergelassen. Herrlich und ich lasse mich zum Kauf eines Manga-Shirts hinreissen. Seit ich meine Reise in New York gestartet habe, gabs für mich ausser dem Kauf von Ersatzvelo und -pneus keine grossen Shoppingerlebnisse. Okay, ich habe mir noch ein paar neue Nike-Sneakers in San Francisco geleistet. Das aber aus purer Not – ich schwörs. Meine Puma-Turnschuhe, die ich ja zu Fahrradschuhen umfunktioniert hatte, waren einfach nicht mehr ansehnlich. Hier in Japan ist es eine echte Herausforderung, nichts zu kaufen, was mehr Platz als eine Unterhose braucht. Es gibt so unglaublich schöne Keramiksachen und Läden wie Urban Research führen diese schlichte, coole Mode, die bei uns schwer zu finden ist. Und auch die Papeterie-Shops haben diese niedlichen, farbigen Couverts und Briefpapiere. So haben sich meine Einkaufserlebnisse in den letzten zwei Wochen auf Ansichtskarten sowie Fisch- und Autostickers für Vivienne und Yannik beschränkt. Schon bald ist es Zeit, mich auf ins Hotel zurück zumachen. Ich habe mit Alice um 19.00 abgemacht für Skype. Wir wollen endlich unsere Ferienpläne konkretisieren. Sie hat sich inzwischen über Kambodschia und mögliche Reiseziele im Land schlau gemacht. Nicht, dass ich ja bereits in Asien wäre und eigentlich Ferien habe... Aber ich bin ihr extrem dankbar, denn im Moment weiss ich ja nicht einmal, was nach Hongkong kommt. Und übermorgen flieg ich bereits dorthin. Was ich weiss ist, dass ich irgendwo eine oder zwei Wochen Yoga machen will. Philippinen ist inzwischen out, da Oktober der schlechteste Monate ist für eine Reise in den Monsun-gefährdeten Inselstaat. Also Thailand. Das ist nicht allzuweit von Kambodschia weg, so dass ich per 25.10. oder 01.10. – je nach Alice’s Ferieneingabe – ohne grosse Umwege nach Phnom Phen fliegen kann. Koh Phangan hab ich im Visier, jedoch ist jetzt dann Vollmond und das heisst Full Moon Party und eventuell ausgebucht. Aber das werde ich in den kommenden Tagen rausfinden. Jetzt heisst es erstmal etwas essen gehen. Einmal mehr lande ich in einem Laden, wo mir die Karte spanisch vorkommt und ich mich wieder am Menü der anwesenden Gäste orientieren muss. So gibt’s dann Tempura, Auster und gegrillten Fisch. Der Sake kommt zuerst in Form eines Biers und ich muss etwa fünf Mal Sake in verschiedensten Betonungen sagen, bis die Dame mich versteht: Ssssake, Saaaake, Saaaaaaköööö, usw. Ich hab immer noch nicht raus, was die richtige Aussprache ist. Aber irgendwann klappts dann immer. Auch das Essen des Fischs und der Tempura-Stücke mit Chop-Sticks stellt sich als echte Herausforderung heraus. Es ist leicht im Yoshji’s im Seefeld die California Roll in der Soja-Sauce zu tunken und sich dann in einem Bissen in den Mund zu stecken. Und bei Suan Long nimmt man einfach die Gabel und das Messer zur Hilfe, wenn sich am Schluss des Mahls die Reiskörner nicht mehr so richtig mit den Holzstäbchen fassen lassen. Eine echte Sauerei kann ich euch sagen. Wie machen die Japaner das, frag ich mich immer wieder. Leider seh ich niemanden, mit einem ähnlichen Menu. Danach gehts zurück ins Hotel. Ich will im 12. Stock im Public Bath noch ein Bad nehmen. Ich rechne nicht damit, dass ich dort um 22.00 noch eine Frau antreffen werde und freue mich auf ein entspannendes Bad. Leider hab ich Pech. Im kleinen Baderaum befinden sich bereits drei Damen, die sich gerade gründlich waschen, um sich für das Bad vorzubereiten. Das Problem ist nicht, dass es bereits Badegäste hat, sondern, dass ich ein Tattoo habe. Tattoos sind grundsätzlich nicht erlaubt in öffentlichen Bädern. Diese werden mit Yakuza, bei uns als japanische Mafia bekannt, oder anderen kriminellen Banden in Verbindung gebracht. Und es ist egal, dass man ein Ausländer ist oder das Tattoo noch so klein. Es ist schlichtweg inakzeptabel. Hier steht es sogar noch an der Eingangstür angeschrieben: We ask guests with tattoos to refrain from using the public bath. Meine Hoffnung war, dass ich allein wäre. Etwas enttäuscht ziehe ich von dannen. Das Bad ist zwar bis 02.00 geöffnet, aber so lange möchte ich dann doch nicht warten. Also muss es einmal mehr auch eine hundskommune Dusche tun.

02.10. - Wiedersehen mit Carina und Rauswurf aus Kobe-Restaurant

Heute ist der Tag, an dem ich mich mit Carina und Sven treffe. Freude herrscht. Die beiden sind ebenfalls gerade in den Ferien in Japan und fliegen morgen Freitag von Osaka zurück nach Hong Kong. Dort sind die beiden seit April für meinen ehemaligen Arbeitgeber tätig und ich darf mich für ein paar Tage bei ihnen einnisten, bevor meine Reise weitergeht. Ich freue mich, wieder ein paar Tage mit bekannten und vertrauten Menschen zu verbringen. Mit Carina habe ich während meinen zweieinhalb Jahren UBS-Zeit im Stab von UBS Schweiz Corporate Clients gearbeitet. Nebst einer tollen Arbeitskollegin war sie auch motivierende Joggingpartnerin und ambitionierte Jasskumpanin an den Spielabenden mit Markus Z. und Sandro M. im Weissen Kreuz. So gibt es ein herzliches Wiedersehen an der U-Bahnstation Namba Station. Nach ziellosem Umherwandern im Quartier, einem grässlichen Bubble Tea und meinem dritten Starbucks Chai Tea Latte an dem Tag, nehmen wir uns eine Taxi ins St. Regi's Hotel, um uns auf deren Roof Top Bar einen Apéro zu genehmigen. Die Bar ist wunderschön draussen auf einer Terrasse und von viel Grün umgeben. Zu viel Grün für unseren Geschmack, denn die Aussicht ist gleich Null, so dass wir genauso gut irgendwo in einem Park hätten sitzen können. Aber gemütlich ist es und der Cosmopolitan schmeckt hervorragend. Irgendwann gegen 19.00 (keine Ahnung, es war auf jeden Fall schon stockdunkel) machen wir uns dann auf den Weg. Ziel ist das Kobe-Beef-Restaurant Nr. 1 von Tripadvisor: Das Kobe Misono. Es gibt ja einige Unklarheiten bei uns Nicht-Japanern, was denn nun ein Kobe-Rind ist und welches Fleisch als Kobe-Beef bezeichnet werden darf. Ich habe ja auch keinen blassen Schimmer. Klar ist nur, dass dies ein Must-eat ist, wenn man schon mal in Japana ist. Fakt ist, dass das Kobe-Rind keine eigene Rasse ist, sondern lediglich eine Herkunftsbezeichnung für die Tajima-Rinder. Die Rinder werden außerhalb Japans häufig auch als Wagyu bezeichnet. Ach, das haben wir doch auch schon gehört. Da gibt es doch diese Burger im Helvti-Diner? Wikipedia, inzwischen mein engster Verbündeter auf dieser Reise, besagt: Wagyu ist einfach eine Sammelbezeichnung, unter die das Tajima-Rinder aber auch andere japanische Rinderrassen fallen. Der Import von Koberindfleisch in die EU ist erst seit Mitte Juli 2014 möglich. Um das Koberind ranken sich alle möglichen Mythen und Geschichten. Tatsache ist, dass Rinder aus Kobe im Schnitt dreimal so viel Zeit wie ein herkömmliches Rind erhalten, bis sie schlachtreif sind. Bis dahin werden in der Regel keine künstlichen Wachstumshormone oder Antibiotika verwendet. Das macht die Haltung aufwändig und das Kobe-Rindfleisch somit zum teuersten Rindfleisch der Welt. Ja, das sehen wir auch auf der Speisekarte unseres Restaurants. 15'000 Yen, also rund 130 CHF, zahlen wir für 150 Gramm Fleisch pro Person. Plus ein paar Zwiebeln, Reis und ein Schüsselchen Salat. Aber eben, es soll ja eine Once-in-a-lifetime-Erfahrung werden. Wird es auch - in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist das Fleisch wahrlich butterzart und man brauchts fast nicht zu kauen. Andererseits werden wir kurz nach dem Dessert und ohne Vorwarnung gebeten, das Restaurant in dem Moment zu verlassen, da die nächsten Gäste warten. Wie bitte? Wir haben noch Wein in den Gläsern und uns wurde bei der Ankunft nicht mitgeteilt, dass wir um eine bestimmte Zeit den Tisch respektive die Herdplatte freigeben müssten. Nebenan hat es einen freien Tisch und wir verstehen irgendwie überhaupt nicht, wieso wir Knall auf Fall den Laden verlassen müssen. Sehr 'unasiatisch' wehrt sich Sven und merkt an, dass wir gerade viel Geld ausgegeben hätten und wir noch gedenken, unsere Weingläser zu leeren. Das passt den Servierdüsen überhaupt nicht. Obwohl ich immer noch denke, dass diese eigentlich kein Wort davon verstanden haben, jedoch merken, dass wir unsere Allerwertesten in den nächsten 30 Sekunden sicherlich nicht zu bewegen gedenken. Somit wird dann doch auf einmal mit emsiger Fleissigkeit der Tisch nebenan hergerichtet. Da wir uns nun doch irgenwie nicht mehr so überaus willkommen fühlen, machen wir uns nach fünf weiteren Minuten auf, das Lokal zu verlassen. Mit einem faden Nachgeschmack, trotz bestem Kobe-Beef. Unseren letzten Abend in Japan wollen wir nicht so beenden und gönnen uns deshalb noch drei Runden Sake in der Bar des obersten Stockwerks der Phoenix Hall. Somit schliessen wir unseren letzten Abend in Japan mit einem kleinen Damenrausch ab und beginnen den darauffolgenden Morgen mit Kopfweh und einem grossen Verlagen nach viel Wasser.